Im dritten und abschließenden Teil meiner LGBTQIA-Dschungeldurchquerung habe ich neben Ergänzungen zum Bisherigen eine Reihe von "Randthemen" gesammelt - also Themen, bei denen es bestimmte Überschneidungen mit queeren Themen gibt und die oft zusätzliche Komplexitäten hinzufügen.
Bei den meisten davon bin ich keine Expert*in, und habe deswegen auch nur an der Oberfläche gekratzt. Mir geht es eher darum, das Bild abzurunden und zu erwähnen, was ich bei den anderen Teilen ausgespart hatte.
Wie ich auch bei den ersten Teilen in den letzten Wochen/Monaten immer wieder kleine nachträgliche Korrekturen gemacht habe, werde ich das vielleicht auch hier so halten - generell gilt für diesen Teil 3 aber am meisten: Ich hab nur zusammengeschrieben, was ich kenne, und teilweise kaum recherchiert oder nur aus bestimmten Perspektiven - oder es ist sogar einfach meine eigene. ;-) Für Hinweise, wenn ich wo total danebenliege, oder wenn ich noch etwas ergänzen könnte, bin ich dankbar.
~ ẞ ~
Inhalt von Teil 3:
A - LGBTQIA+ und der Rest der Welt
B - Sexismen und Normvorstellungen
C - Polyamorie und alternative Beziehungsformen
D - BDSM
E - Otherkin
F - Multiplizität und DIS
Teil 3: Und der ganze Rest
(Content Note: Diskriminierungen, Sexismen, Gewalt, Trauma)
A. LGTBTQIA+ und der Rest der Welt
* ally (Verbündete)
Allen queeren Identitäten ist gemeinsam, dass sie in der Bevölkerung Minderheiten sind, und daher auf die Unterstützung der Mehrheitsgesellschaft angewiesen sind. Nichtsdestotrotz sind viele erst einmal skeptisch, wenn sich eine nicht-queere Person selbst als "Ally" deklariert - diese Skepsis rührt aus vielen schlechten Erfahrungen.
Zum Beispiel so etwas:
"Wenn ihr so aggressiv seid, braucht ihr euch nicht wundern, dass ihr keine Allies habt" - das kriegen wir so oder in ähnlicher Form öfter mal zu hören. Allerdings - wer nur zu Menschen einer Minderheit hält, wenn diese immer nett zu einem sind, braucht sich eigentlich nicht Ally nennen; dazu gehört auch das Verständnis, dass es wunde Punkte gibt, und dass Menschen, die verletzt werden, eben auch emotional reagieren können.
Die oberste Regel sollte sein, Menschen zuzuhören, wenn sie über ihre Erfahrungen mit Diskriminierung sprechen - sie wissen es normalerweise besser!
Nichstdestotrotz ist es wichtig, dass manche queere Räume auch Allies offenstehen - vor allem auch unter dem Gesichtspunkt, dass viele Leute, die sich ihrer Orientierung oder ihres Geschlechts noch nicht richtig bewusst sind, zu Communities Kontakt suchen, und sich zu Anfang erst einmal als Ally deklarieren.
* QUILTBAG
Eine Variante, um sich die Buchstaben in LGBTQIA+ besser merken zu können. Das "U" steht dabei für "undecided".
* angeboren, unveränderlich?
An der Frage, ob Geschlechtsidentitäten und Orientierungen angeboren sind, hängt oft viel, da es ein wichtiges Argument ist, dass von LGBTQIA-Aktivist*innen vorgebracht wird, um für ihre Menschenrechte zu kämpfen. Es ist heikel, das in Frage zu stellen.
Wenn schon nicht angeboren per se, sind doch Orientierung und Geschlecht für die meisten Menschen über ihr ganzes Leben sehr stabil; bei manchen etwas weniger als bei anderen. Ich will aber darauf hinweisen, dass, nur weil etwas veränderlich ist, das noch nicht heißt, dass die Art oder Richtung dieser Veränderung kontrolliert werden kann; und schon gar nicht, dass irgendjemand dazu gezwungen werden darf, es zu versuchen.
Manche Menschen fragen sich ihr Leben lang, ob ein erlebtes Trauma ihre Orientierung oder Geschlechtsidentität beeinflusst hat - das kann recht quälend sein. Aber selbst wenn es eine Vorgeschichte gibt, ist die Identität, so wie sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt nunmal ist, nicht weniger valide.
* Psychische Schwierigkeiten
Menschen aus dem LGBTQIA-Spektrum wird sehr oft an den Kopf geworfen, dass sie doch irgendwie gestört oder geisteskrank wären. Aus dieser Perspektive kann es verunsichernd wirken, mit Statistiken konfrontiert zu werden, wie es mit psychischer Gesundheit von LGBTQIA-Personen so steht - nämlich oft nicht gut. Das liegt aber in den meisten Fällen klar daran, dass es zu enorm viel Belastungen führt, in einer Gesellschaft zu leben, die uns nicht akzeptiert, wie wir sind. Gerade bei trans Personen gibt es auch schon Studien, die belegen, dass die Rate an psychischen Krankheiten deutlich geringer ist, wenn sie schlicht in einem Umfeld leben können, das ihnen nicht feindlich gesinnt ist. Für Kinder, die in einer Familie aufwachsen, die ihre Identität nicht akzeptiert, bedeutet das aber leider oft ein lebenslanges Trauma.
* Pathologisierung
Einer der ersten Schritte, gegen eine Gruppe von Menschen vorzugehen, ist, sie als krankhaft darzustellen. Das ist in der Geschichte von Medizin und Psychologie (bis in die Gegenwart) aber ein allgegenwärtiges Phänomen, so sehr, dass es uns manchmal nicht einmal bewusst ist, dass es passiert.
Bis zum ICD-10 im Jahr 1992 war Homosexualität von der WHO als eine psychische Störung klassifiziert. Im kommenden ICD-11 wird Transgender-Sein (oder wie es hieß, "Transsexualismus") zwar aus der Liste der psychischen Störungen genommen, dabei aber Genderdysphorie zum Kapitel 'Conditions Related to Sexual Health' gepackt, in dem sich anderen Unterkapitel auch erektile Dysfunktion, Paraphilien, Exhibitionismus und Voyeurismus befinden - diese Nachbarschaft erzeugt jetzt auch nicht wirklich Begeisterung. Zumindest hat aber ein Umdenken begonnen, das den Fokus auf die Dysphorie selbst als diagnostiziertes Problem lenkt, und die Identität selbst nicht mehr pathologisiert.
Intergeschlechtliche Menschen ringen unterdessen darum, dass ihre Körper nicht als Fehlbildungen abgetan werden, wenn sie doch genauso gut oder schlecht funktionieren wie die anderer Menschen auch.
Zugrunde liegt all diesen Phänomenen der Gedanke "krank ist, was nicht der Norm entspricht" und somit die Idee, es gäbe nur genau eine Art von richtigem Körper und richtigem Leben. Hier befinden wir uns bereits in unmittelbarer Nähe zu faschistischem Gedankengut, das diese Idee noch auf "Völker" ausweitet.
* Gay Conversion Therapy
Besonders im religiös-fundamentalistischen Umfeld gibt es auch heute noch die Idee, dass sich eine von der Heteronormativität abweichende sexuelle Orientierung "wegtherapieren" ließe. Solche Versuche waren (bzw. sind) sehr gewaltvoll und entbehren jeder wissenschaftlichen Grundlage.
B. Sexismen und Normvorstellungen
Begriffe die sich auf gesellschaftliche Strukturen beziehen, sind schwer zu definieren, und da ich keine besonderen Kenntnisse von Soziologie, Gender Studies, etc. mitbringe, werden meine Definitionen vermutlich nicht so formuliert sein, wie sie von Expert*innen verstanden werden. Nehmt diese Auflistung also auch nur als einen groben Überblick.
* Heterosexismus
Die (gesellschaftlich verankerte) Vorstellung, dass nur Heterosexualität normal sei, und jede Abweichung davon unnatürlich und fehlerhaft.
Es geht dabei nicht nur um persönliche vorurteile, sondern auch um gesamtgesellschaftliche Normvorstellungen, die sich z.B. in diskriminierenden Gesetzen niederschlagen, fehlendem gesetzlichen Schutz vor Ungleichbehandlung und auch stillschweigendem Ignorieren von Ausgrenzung, die in Bereichen passiert, die nicht gesetzlich geregelt werden können.
* Monosexismus
Die (gesellschaftlich verankerte) Vorstellung, dass es natürlich und richtig für Menschen ist, sich zu nur einem Geschlecht hingezogen zu fühlen, d.h. entweder heterosexuell oder homosexuell zu sein. Monosexismus ist eine Grundlage für Diskriminierung von Bi*sexuellen.
* Cissexismus
Die (gesellschaftlich verankerte) Vorstellung, dass es natürlich und richtig für Menschen ist, eine Geschlechtsidentität zu haben, die genau derjenigen entspricht, die sie bei der Geburt zugewiesen bekommen. "cissexistisch" ist mehr oder weniger synonym zu "transfeindlich".
Viele Spielarten von cissexistischen Denkens enthalten die Idee, dass es so etwas wie eine Geschlechtsidentität gar nicht gibt, oder dass diese zu 100% biologisch festgeschrieben ist (hier wird allerdings auch auf vereinfachte bzw. veraltete Biologie verwiesen). Eine häufige cissexistische Aussage ist auch "Es gibt nur zwei Geschlechter, und diese sind biologisch fest vorgegeben!".
Auch trans Personen sind davon nicht gefeit - schließlich wachsen wir in einer Gesellschaft auf, die von Cissexismus tief durchtränkt ist. Wenn trans Personen überhaupt in Büchern, Filmen, etc. vorkommen, dann oft als lächerliche Witzfiguren oder als eingestreuter Gag. Wenn es überhaupt zu einer Erwähnung kommt.
* Exorsexismus
* Exorsexismus
Exorsexismus - abgeleitet vom logischen Gatter XOR, also "das eine oder das andere, aber nicht beides" - bezeichnet Feindseligkeit gegenüber nichtbinären Personen. Meistens wird Exorsexismus mit Cissexismus gleich "mitgeliefert", allerdings gibt es auch binäre trans Personen, die nichtbinäre Identitäten für ungültig halten und nichtbinäre Personen aus trans Gruppen ausschließen wollen.
Das wohl verbreitetste Beispiel für üble Hassrede gegen nichtbinäre Personen sind "Witze" der Form von "Ich identifiziere mich als [X]", wobei für [X] etwas möglichst abwegiges eingesetzt wird, um nichtbinäre Identitäten als lächerlich darzustellen.
* Bi-Erasure
Bi*sexuelle werden medial oft weggelassen, versteckt oder wegerklärt. In vielen Köpfen geistert die Idee, dass es Bi*sexuelle eigentlich gar nicht gibt, bzw. dass eine Person lügt, die sich so bezeichnet, wenn sie z.B. in ihrem Leben nur Beziehungen mit Menschen eines Geschlechts hatte.
Bei nachträglichen Zuschreibungen, etwa verstorbenen Prominenten, wird oft bewusst oder unbewusst ignoriert, dass eine Person bi*sexuell war, und sie stattdessen in eine heterosexuelle oder homosexuelle Schublade gesteckt.
* Allosexismus
Die (gesellschaftlich verankerte) Vorstellung, dass es natürlich und richtig für Menschen ist, sich sexuell zu anderen hingezogen zu fühlen, und dass sexuelle Anziehung für ein gelungenes (Erwachsenen-)Leben notwendig ist.
"allosexistisch" sehe ich als synonym zu "ace-feindlich" bzw. "asexuellenfeindlich".
* Amatonormativität (amatonormativity)
Die Vorstellung, dass alle Menschen romantische Beziehungen eingehen wollen oder sollen; dazu gehören auch Ideen wie, dass es zu einem guten Leben dazugehört, mit einer Partner*in zusammenzuziehen, gemeinsam Kinder (und Enkelkinder) zu bekommen, dass Freundschaften niemals romantische Beziehungen ersetzen können, dass Freundschaften weniger wert seien als Liebesbeziehungen, dass sich das Leben um die Partner*in zu drehen hat, und alles andere zweitrangig ist.
C. Polyamorie und alternative Beziehungsformen
Dieses Thema ist sehr komplex, daher versuche ich hier nur, einige Grundbegriffe aufzuzählen - Leser*innen mögen sich für tiefergehendes Einlesen bessere Quellen suchen als meinen Blog.
* Polyamorie
Viele verschiedene Arten, konsensuell mehr als eine (meist als sexuell und/oder romantisch verstandene) Beziehung zu führen, lassen sich unter dem Überbegriff Polyamorie versammeln.
Das entscheidende Merkmal der Polyamorie ist, dass sie konsensuell ist, d.h. dass die Partner*innen sich darüber im Klaren sind, dass es sich um polyamore Beziehungsformen handelt. "Fremdgehen" ist daher nicht polyamor.
Es kann in polyamoren Beziehungen sehr klar vereinbarte Regeln geben - oder auch die Vereinbarung, möglichst wenige feste Regeln zu haben - und alles dazwischen.
Es gibt unterschiedliche Ansichten dazu, ob Polyamorie für sich genommen "queer" ist. Es gibt natürlich viele cisgender+heterosexuelle+allosexuelle Menschen, die polyamorös leben - und es ist auch nicht abzustreiten, dass auch gegenüber den meisten Formen von Polyamorie große gesellschaftliche Vorurteile bestehen, sowie wenig oder kein rechtlicher Schutz. Klar ist also, dass gegen polyamorös lebende Menschen diskriminiert wird - allerdings ist "queer" historisch ein Schimpfwort, dass sich gegen LGBTQIA-Menschen gerichtet hat, und von diesen heute reclaimt wird.
Auch im Sinne der sprachlichen Praktikabilität ("queer" als schnelles Synonym zu "LGBTQIA+") werde ich Polyamorie nicht als queer bezeichnen. Wenn über gemeinsame Diskriminierungserfahrungen geredet wird, kann dies auch über ein Kürzel wie "queer/poly" gemacht werden.
> Link: Den Comic KimchiCuddles finde ich persönlich einen möglichen guten Einstieg ins Thema.
* Metamour
Eine Partner*in einer Partner*in.
* Mitfreude (compersion)
Während Eifersucht oft für polyamor lebende Menschen ein schwer zu bewältigendes Problem darstellt, gibt es auch deren Gegenteil, die Mitfreude - also eine Freude darüber, dass eine Partner*in eine neue Beziehung mit jemand anderem beginnt oder genießt.
* Triade
Eine Beziehung zwischen drei Personen, die zusammen ein (geschlossenes) Dreieck bilden.
* Polykül (polycule)
Durch polyamore Beziehungen können sich komplizierte soziale Strukturen ergeben, die, wenn sie als Beziehungsdiagramm aufgezeichnet werden, an Moleküle erinnern. In einem großen Polykül kann eine Person die Partner*in der Partner*in der Partner*in ... usw. sein.
* polyfidel, Polyfidelität
Eine Beziehungsform, bei der die Beteiligten ohne Absprache keine weiteren Beziehungen beginnen (ähnlich wie in einer monogamen Ehe) aber es eben mehr als zwei Personen sind, ist polyfidel. Das hat z.B. den Vorteil, gegen sexuell übertragbare Krankheiten geschützter zu sein, weil es ein geschlossenes System ist.
* Relationship Anarchism (Beziehungsanarchie)
Die Idee, dass jede Beziehung zwischen Menschen individuell ist und für sich selbst betrachtet werden sollte; d.h. dass Unterscheidungen zwischen Liebesbeziehungen, sexuellen Beziehungen, usw. zu grob sind, oder deren Regeln zu eng gefasst.
D. BDSM
BDSM ist ein Mehrfachakronym, bei dem jeweils zwei benachbarte Buchstaben zusammen gelesen werden können, und zwar BD als "Bondage und Disziplin", DS als "dominant-submissiv" und SM als "Sadismus und Masochismus". Zwischen BDSM und queeren Communities gibt es Überschneidungen, aber auch hier gilt, dass nicht jede Person, die BDSM praktiziert, queer sein muss.
BDSM ist ein sehr weites Feld, das nicht unbedingt mit Sexualität zu tun haben muss, sondern auch beispielsweise um Erfahrungen von Abhängigsein, Sich-jemandem-voll-Anvertrauen, oder umgekehrt Kontrolle auszuleben.
* safeword
In der BDSM-Szene wird sehr viel Wert auf Konsensualität gelegt, vielleicht sogar mehr als irgendwo sonst. Meist wird dafür ein Safeword vereinbart - ein Wort, das ein unbedingtes Signal dafür ist, dass eine Handlung abgebrochen werden muss.
* Kink
Ein Kink ist eine sexuelle Vorliebe, die als außergewöhnlich angesehen wird.
* Fetisch
Ein Fetisch ist eine sexuelle Vorliebe, die für eine Person so wichtig ist, dass sie ohne diesen Fetisch keine oder fast keine sexuelle Erfüllung erlebt.
E. Otherkin
Otherkin ist eine (Selbst-)Bezeichnung für Personen, die sich nicht zur Gänze als Mensch identifizieren. Dabei ist ihnen bewusst, dass sie in/mit einem menschlichen Körper leben, es geht eher um ein inneres Wesen oder auch um eine Beschreibung des Charakters. Oft wird das auch spirituell verstanden. Womit sich Personen identifizieren, kann sehr unterschiedlich sein, es müssen keine real existierenden Wesen sein.
Manche trans Personen lehnen otherkin Personen ab, weil sie befürchten, dass Analogien gezogen werden, die benutzt werden können, um Transsein zu invalidieren. Allerdings sind viele otherkin Personen selbst trans, sodass es Überschneidungen zur Geschlechtsidentität gibt.
Es kann unterschieden werden zwischen "identifizieren als" und "identifizieren mit". Ersteres entspricht eher der Erfahrung von trans Menschen (sie sind ihr Geschlecht, stellen das fest und teilen es anderen mit), letzteres vielleicht eher otherkin Personen.
> Link: Mein Halbwissen zu diesem Thema stammt zu einem Großteil von einer Podcast-Episode "Sharks have no concept of gender", in der sich trans und (sekuläre) otherkin Personen miteinander unterhalten. Grundtenor ist, dass es prinzipiell harmlos ist, und es daher keinen Grund gibt, anderen ihre Identifikation mit etwas abzusprechen.
F. Multiplizität und Dissoziative Identitätsstörung
(Content Note: Trauma, Gewalt)
Hierauf werde ich nur kurz eingehen, weil es ein sehr heikles Thema ist, und ich auf keinen Fall für Betroffene von DIS sprechen möchte. Der Grund, warum ich es überhaupt erwähne, ist, dass es bei Multiplizität - also mehrere getrennte Personen/Persönlichkeiten/Alters in einem Körper - öfter auch dazu kommen kann, dass die einzelnen davon unterschiedliche Geschlechter oder Orientierungen haben können, wodurch Menschen einen noch einmal anderen Bezug zum LGBTQIA-Spektrum haben können, den ich bisher eben nicht angesprochen hatte.
Dissoziative Identitätsstörungen (DIS) sind - soweit ich weiß - nach derzeitigem Konsens ein Ergebnis von schwerer Traumatisierung. Dementsprechend ist es sehr wichtig, nicht einfach fröhlich dahinzuphilosophieren, sondern zu beachten, dass es für Betroffene ein unangenehmes Thema ist, und eine Diskussion potentiell triggernd sein kann. Deswegen habe ich den Abschnitt (und den Post) mit Inhaltswarnungen zu Trauma und Gewalt versehen, auch wenn ich nicht explizit darüber spreche.
Das Bild von den "bösen Alter-Egos" ist leider immer noch medial omnipräsent, wenn es um Multiplizität geht. Im Gegenteil haben Alters (d.h. die weiteren Persönlichkeiten) oft den Zweck, vor den traumatisierenden Erfahrungen zu schützen, indem diese Erfahrungen eben vom Rest getrennt werden.
> Link: Mein Halbwissen zum Thema DIS stammt hauptsächlich von einem Youtube-Kanal einer Betroffenen, den ich hier verlinke: MultiplicityAndMe - Natürlich ist das nur eine Perspektive, und es gibt noch sehr viele andere. Genauso wie auch für alle Personen aus dem LGBTQIA-Spektrum bewerte ich die Erfahrungen von Betroffenen insgesamt höher als die der "Expert*innen" (etwa aus der Psychiatrie) - aber natürlich kann niemals eine Einzelperson für die anderen sprechen.
* System
Für die Gesamtheit der Persönlichkeiten in einem Körper wird oft der Begriff "System" verwendet, also etwa formuliert "Wir sind ein multiples System" oder "Ich bin Teil dieses Systems". Manchmal geben sich Systeme selbst noch einen eigenen Namen, um von den einzelnen Alters abzugrenzen - meist gibt es aber eine Persönlichkeit, welche die "ursprüngliche" ist, und den Namen für das System stellt.
* Singlet
Bezeichnung für eine nichtmultiple Person, also für jemand, der*die "alleine im Kopf" ist.
* Median, Median-System
Wie fast überall gibt es auch bei Multiplizität (das an sich schon ein riesiges Spektrum sehr unterschiedlicher Erfahrungen ist) Grauzonen - eine Bezeichnung für etwas zwischen Singlets und multiplen Systemen ist "Median-System".
Ich weiß von keiner Forschung, die einen Zusammenhang zwischen Median-Systemen und Genderfluidität zum Thema hätte - und vermutlich gibt es Leute, die meine Vermutung, dass es hier einen Zusammenhang geben könnte, problematisch finden. Dennoch wollte ich das kurz ansprechen - es gibt allerdings ohnehin zu Median-Systemen noch kaum Information zu finden, und es ist kein psychologischer Fachbegriff, sondern ist nur in einigen Communities von Menschen auf dem multiplen Spektrum verbreitet.
* Tulpas, Soulbonds, "healthy multiplicity"
"Healthy Multiplicity" bezeichnet den Ansatz, Multiplizität nicht als etwas Negatives zu sehen, sondern als etwas Positives oder manchmal sogar Erstrebenswertes. Dieser Begriff ist auch wieder sehr heikel, da viele Betroffene von DIS es (verständlicherweise) sehr negativ aufnehmen, wenn etwas, unter dem sie ihr Leben lang leiden, von anderen als erstrebenswert dargestellt wird.
Aus der tibetischen Mythologie ist der Begriff "Tulpa" entlehnt, der Anfang der 2010er-Jahre im Internet als Bezeichnung für bewusst geschaffene weitere Persönlichkeiten eine weitere Bedeutung angenommen hat.
"Soulbond" ist ein damit eng verwandter Begriff, der sich eher auf literarische Figuren bezieht, die im Kopf von Schriftsteller*innen allmählich ein Eigenleben entwickeln, und eine eigene Perspektive auf die Welt, mit der sich dann die Rolle, die sie als Soulbonds einnehmen, stark von der unterscheiden kann von der, die sie in der Fiktion, der sie entstammen, hatten.
Sowohl Tulpas als auch Soulbonds können natürlich prinzipiell jedes Geschlecht, jede Orientierung (und auch natürlich nicht notwendigerweise menschlich) sein. Ob es dadurch möglich ist, durch deren Einfluss allmählich eine veränderte Geschlechtsidentität oder Orientierung zu haben, ist natürlich auch wieder umstritten und heikel (da es unter Umständen als Legitimation von "Gay-Conversion-Therapy" gelesen werden könnte, oder als Invalidisierung der Identität von LGBTQIA-Personen).
Meinem Eindruck nach (die ich mich vor einigen Jahren etwas mehr damit beschäftigt habe) sind in Tulpa/Soulbond-Communities trans Personen etwas überrepräsentiert, allerdings ist dort die Frage, was Trans-Sein für ein System bedeutet, oft unklarer. Etwa, was es z.B. für eine cis Person bedeutet, sich über viele Jahrzehnte den Kopf mit einer recht selbstständigen Person eines anderen Geschlechts zu teilen - und ob dann der Begriff "bigender" dafür passend ist.
~ ẞ ~
Ich ziehe hier vorerst einen Schlussstrich.
Es lassen sich noch viele Themen aufzählen, die ich ausgelassen habe: Rassismus bzw. Erfahrungen von People of Color, Erfahrungen von autistischen Menschen, gehörlosen Menschen, von Menschen mit Behinderungen, mit Migrationshintergrund, in Armut, ...
Es gibt eine Unzahl von Überschneidungen, und die Erfahrungen, die Menschen machen, die in mehr als einer Hinsicht nicht der Norm entsprechen (oder der Mehrheitsgesellschaft), können sich drastisch von denen unterscheiden, die "nur" queer sind. Und die meisten Communities orientieren sich auch innerhalb einer Minderheit wieder an der Mehrheit. Das gilt auch für meinen Blog hier, der sich nur an Leute richtet, die mit meiner Art zu schreiben klarkommen. Und ich wüsste ehrlich gesagt nicht, ob Vorleseprogramme für blinde Menschen z.B. hier funktionieren. Oder was sie aus den ganzen scharfen ẞ machen, die ich als ästhetische Trennzeichen einstreue...
Ich denke, es ist meinen Posts anzumerken, dass ich von manchen Themen deutlich weniger Ahnung habe - daher hier nochmal der Hinweis, dass ich gerne noch etwas mehr einbauen kann oder Korrekturen machen, wenn jemand da Bedarf sieht. :-)
Ich denke, es ist meinen Posts anzumerken, dass ich von manchen Themen deutlich weniger Ahnung habe - daher hier nochmal der Hinweis, dass ich gerne noch etwas mehr einbauen kann oder Korrekturen machen, wenn jemand da Bedarf sieht. :-)
~ Jundurg Delphimė
@JD: Beeindruckend. - Technischer Hinweis: Wenn du den Seitenhintergrund heller machst, ist der Text leichter lesbar.
AntwortenLöschenDanke!
LöschenOje, ich mag mein Farbdesign eigentlich sehr. Es ist auch manchmal etwas schwer abzuschätzen, weil bei vielen Bildschirmen der Betrachtungswinkel ja eine große Rolle spielt. Ich persönlich mag den etwas milderen Kontrast eigentlich ganz gerne, vielleicht experimentiere ich aber auch mal mit einem etwas helleren Ton.