Donnerstag, 24. Mai 2018

Ein Klavierabend (Mai 2018)

Der folgende Text versucht in erster Linie meine Stimmung während eines Konzertbesuches wiederzugeben. Meine persönliche Sicht mag zwar durchscheinen, der Text ist aber kein getreues Abbild davon.

Es wird durchwegs das generische Maskulinum verwendet, weil in allen diesen Fällen schlicht keine Frauen beteiligt waren.

~ ẞ ~

Ein Abend nur mit Klavierstücken. Ich beschließe hinzugehen, da ich ohnehin später noch jemand in der Innenstadt treffen wollte. Am Eingang umhülle ich mich mit einer dicken Gipsschicht aus Zynismus und Menschenscheu.

Ich gehe ohne die Menschen zu beachten in die letzte Reihe. Meine Stimmung ist antisozial - ich bin nicht hier, um mich den komplizierten ungeschriebenen Regeln auszusetzen, die hier üblich sind. Meine alten Professoren sitzen vorne in der ersten Reihe, plaudern miteinander.

Ich lehne mich zurück. Die Musik ist frisch und klar. All die Entschuldigungen des Komponisten haben meine Erwartungshaltung erhöht, nicht gesenkt. Wofür er sich entschuldigt, das hält er insgeheim für besonders wertvoll, aber kann es nicht sagen, ohne eine Mauer aufzubauen, die vor dem Missbill der Kollegen schützt. Die Musik wird schneller, und langweiliger. Rhythmen, die Eindruck schinden sollen, und die Schwächen verstecken sollen. Ich konzentriere mich darauf, die Schwächen zu hören.

Ruhig sitzen ist eine Tortur. Ich klammere mich an ein Tangle, bewege es leise zwischen den Fingern. Zwischen den Stücken klatsche ich nicht - meine Hände sind nicht frei. Respektlosigkeit, die ich mir erlaube. Es befreit mich, mich unangepasst zu verhalten. Ich bin hier ohnehin ein Fremdkörper, und eigentlich fühle ich mich sogar erst als Fremdkörper wohl.

"Das würde ich heute natürlich nicht mehr so schreiben.", sagt der Komponist. Ja steh doch dazu, denke ich, wenn es dir doch immer noch gefällt. Die pathologische Abgrenzung der Komponisten gegenüber einer naiven Tonalität wirkt mit einem Abstand von mehreren Jahren, nachdem ich mich aus diesem Geschehen zurückgezogen habe, irgendwie lächerlich. Der Abend hätte auch heißen können: Alte Männer und ihre Jugendwerke.  Eines der Stücke ist überhaupt "nur" ein Reigen von Stilkopien. Ich befürworte das, aber sie müssen gut sein. Sie waren langweilig.

Ein Schönberg-Zitat, gerade genug versteckt, um nicht allen aufzufallen, aber nicht genug versteckt, um der Peer-Group nicht sofort aufzufallen. Ich schmunzle, innerlich facepalme ich. Es ist ein Insiderwitz, der dazu dient, in den Kennern das Gefühl einer Überlegenheit hervorzurufen. Wenn es aus einer Kultur kommt, die ohnehin bereits in der Hierarchie an der Spitze der Gesellschaft liegt - oder zumindest um diese heischend herumtanzt - wirkt es überheblich.

Eines der Stücke quält mich besonders. Ich habe versucht, hinter die Kulisse der schillernden Rhythmen zu sehen. Das hätte ich wohl nicht tun sollen - hinter der Fassade ist eine ausgemergelte Harmonik, die nur ein dumpfes Gefühl der Leere auslöst. Bevor das Konzert begann, habe ich mich gefragt, ob es überhaupt Klavierstücke geben kann, bei denen ich mir aktiv wünsche, dass sie zuende gehen. Natürlich gibt es sie. Ich war nur schon zu lange nicht mehr in einem Konzert, sonst hätte ich mir diese Frage nie gestellt.

In der Pause lese ich Judith Butler. Nicht aus Interesse, sondern aus Desinteresse - ich will nicht mitbekommen, was die Professoren vorne reden. Das moralische Ich, das erst entsteht, wenn es eine Anschuldigung gibt, auf die es reagieren muss. Butler über Nietzsche. Früher habe ich in solchen Konzertpausen versucht, mich wie die anderen zu verhalten. Aber das ist eine Qual. Ich rede gerne mit Menschen, aber es gibt hier zu viele ungeschriebene Gesetze der Höflichkeit, die einzuhalten mir einerseits unmöglich, andererseits auch unsympathisch ist. Wen muss ich grüßen, wen muss ich beachten? Muss ich jemanden gratulieren, weil ich ihn kenne, nicht weil es mir gefallen hat?

Vielleicht gibt es Menschen, die zu einem Konzert gehen, um die Probleme der Welt zu vergessen. Ich sehe hier aber in meinem Zynismus nur Leute, die an den Problemen in weitem Bogen vorbeigehen, und für die das hier bereits die Welt ist, die einzige, für die sie sich zuständig fühlen.

"Ich hoffe, dass Sie die Form erkennen können.", sagt der Komponist, und ich frage mich im Nachhinein, was damit gemeint ist. Ich erkenne selten Formen. Aber wozu auch? Die Form wird vor dem Ende des Stückes erkannt: Es wird vorhersehbarer. Die Form wird nach dem Ende des Stückes erkannt? Wozu dann überhaupt noch? Ein Formschema ABA wird, wenn es als Selbstzweck durchlaufen wird, etwas kaputt machen am natürlichen Fluss der Musik. Haydn verstand es, die Form für einen Witz zu nutzen. "Ihr glaubt, dass ich X mache, aber ich mache Y, damit habt ihr nicht gerechnet! Ich bin ja doch schlauer als ihr." Unter einer kilometerdicken Schneeschicht von Angepasstheit ein Funken Aufmüpfigkeit?

Jemand macht eine Andeutung auf Erotik. Das Publikum lacht beschämt - niemand hier ist erwachsen genug, nur alt.

Das letzte Stück - der Komponist liegt im Krankenhaus, sagt ein Mensch, der damit betraut wurde. Niemand will es aussprechen, aber vermutlich liegt er im Sterben, der Komponist. Ich höre nun viel genauer zu. Da ist - endlich - die Authentizität, die ich bei den meisten Stücken davor vermisst habe. Vielleicht liegt es auch nur an der Einführung. Einem Sterbenden zuzuhören, ist etwas anderes, als einem, der sich entschuldigen muss. Am Totenbett gibt es keine Entschuldigungen mehr. Nur: Hört mir zu.

Am Ende klatsche ich doch. Für das letzte Stück, und für die Pianistin. Dann schleiche ich mich mit gesenktem Blick wieder davon. Antisozial zu sein, bereitet mir eine diebische Freude. Oben wieder frische Luft! Die Wiener Innenstadt in einer Sommernacht. Ein Motiv des letzten Stückes begleitet mich noch für eine Weile, dann verhallt es wieder. Ich nehme mir vor, abends den Namen des Komponisten herauszusuchen, und tu es dann doch nicht.

~

Mittwoch, 23. Mai 2018

Kommentar zu vier Thesen von Harry Lehmann

In diesem Vortrag (https://www.youtube.com/watch?v=lfL_AG_N244) stellt Harry Lehmann folgende vier Thesen auf:

I : Stile lassen sich durch KI perfekt reproduzieren

Yup. Das sage ich nun auch schon seit einigen Jahren, und darauf muss die Kunstwelt gefasst sein, auch die Nische der Neuen Musik.

II : Neue Stile lassen sich nur mit semantischen Zusatzinformationen generieren

Hm. Einerseits denke ich schon, dass genuin neue Stile vermutlich der Entwicklung durch Menschen einer bestimmten Zeit bedürfen - aber: Woran bestimmen wir denn überhaupt, dass ein neuer Stil vorliegt? Meine spontane Vermutung wäre, dass dieses Urteil selbst, etwas als neu zu bestimmen, eine menschliche Interpretation ist, die einem Verschiedenen, aber nicht notwendigerweise Neuem, übergeworfen sind. Dann wird das Ganze aber schnell zirkulär: Neu ist, worin Menschen etwas Neues erkennen wollen. Wir bewegen uns von einer Ebene der Interpretation nie weg.

In einem rein technischen Aspekt können KIs sehr wohl neue Stile generieren. Bzw. das werden sie können, allein schon deshalb, weil alle bereits vorhandenen Stile miteinander kombinierbar sein werden. Die allermeisten menschlichen Komponist*innen gehen genauso vor. Lehmann setzt dann doch sehr stark auf konzeptionelle Ansätze, um dem zu entgehen. Können wir aber davon ausgehen, dass KIs nie in der Lage sein werden, Konzepte zu generieren?

Klar, die menschliche Ebene dieser Konzepte kann von Maschinen nur imitiert, nicht gelebt werden. Aber dann sind wir wieder dort, wo wir waren: Musik wie vorgefundene Natur, der von Menschen Bedeutung übergeworfen wird.

Ich halte das übrigens nicht für etwas schlechtes. ;-) Die Fähigkeit oder Tätigkeit, Bedeutung zuzuweisen, muss vom Menschen ausgehen, wenn wir nicht auf irgendwelche transzendenten Mächte wie Götter oder Absoluta zurückgreifen wollen.

III : Die besten Werke transzendieren ihren Stil

Genau hier spricht Lehmann meiner Meinung nach einen entscheidenden Punkt an. Allerdings ist diese Qualität auch die am Schwersten feststellbare. In der Musikgeschichte tendieren wir ganz stark dazu, dem ersten Stück eines Stils die größte Bedeutung beizumessen. Vielleicht nicht dem Allerersten, aber dem ersten, das in einem Stil eine bestimmte Qualitätsmarke übersteigt. Gleichzeitig herrscht eine gewisse Abschätzigkeit gegenüber Komponist*innen vor, die bereits vergangene Stile imitieren. (Teilweise zurecht, wenn diese nämlich nicht an die Qualität der bereits vorhandenen Werke herankommen.)

Aber es gibt keinen Grund, anzunehmen, dass ausgerechnet Gustav Mahler die besten denkbaren Symphonien im Stile Gustav Mahlers geschrieben hat. Ist die Qualität des Originals wirklich unübertrefflich?

Diesen Bias, uns an den Erfinder*innen zu orientieren, und neue Werke an den Alten zu messen, ohne deren Qualität gleichzeitig gründlich zu hinterfragen, zu überwinden, halte ich für sehr schwierig. Aber vielleicht liegt darin auch Potential für kommende Generationen. (Kann ich mich musikgeschichtlich in einer Prä-KI-Ära verorten? Ich kann.^^)

Im Gegensatz zu Lehmann lege ich nicht mehr einen so großen Fokus auf außermusikalische Bedeutungsaspekte. Wenn er im Video darauf hinweist, dass ein bestimmtes Merkmal eines Bildes über den Stil hinausweist, so kann ich das nicht so recht nachvollziehen - da fehlt mir auch kunsthistorische Bildung - aber es bleibt auch das dumpfe Gefühl, dass diese Art von Transzendenz wieder nichts anderes ist als eine menschliche Interpretationsebene. Ich suche Qualität allerdings schon auch im Material selbst, trotz aller Bedenken, die Lehmanns Gehaltsästhetische Wende aufwirft.

IV : In ästhetischen Erfahrungen manifestiert sich ein Erfahrungswissen

Das ist für mich einerseits selbstverständlich, andererseits habe ich mich jetzt noch nicht weiter mit Lehmanns Auseinandersetzung über ästhetisches Lernen beschäftigt. (Im Video überspringt er das ja, und ich wollte direkt zu diesem Video einen Kommentar abgeben, bevor ich es wieder vergesse.)

Ich formuliere es gerne so: Kunst wird nicht erlernt, sondern erübt. Es geht nicht um Fachwissen, sondern um Erfahrungen, die gelebt wurden.

Jundurg Delphimė, Mai 2018

Donnerstag, 10. Mai 2018

Komponieren als Arbeit an den Emotionen

In den letzten Jahren bin ich immer weiter davon abgerückt, das Komponieren als eine Tätigkeit aufzufassen, die auf ein bestimmtes Endprodukt (oder Werk) abzielt. Ich gebe zu, dass das teilweise auch mit Faktoren zu tun hat, die nichts mit irgendwelchen Überzeugungen zu tun haben - ich bin z.B. schlicht frustriert darüber, dass ich keine Stücke für die speziell von mir gewählten Besetzungen schreiben kann, so dass diese auch aufgeführt würden. Ensembles von Neuer Musik neigen zu bestimmten Instrumentenkombinationen, und meist zu einem komplett heterogenen Klang ("von jedem Instrument eines"), das meinen Idealen, zumindest für eine bestimmte Art von Musik, diametral entgegengesetzt ist.

Es war für mich sehr lohnend, ein Sextett für 2 Oboen, 2 Tuben, Horn und Fagott zu schreiben - aber da solche Kombinationen kaum je erwünscht oder verfügbar sind (zumindest nicht für no-name Komponist*innen) werde ich es fortan bleibenlassen, und tendentiell wohl überhaupt kaum mehr Instrumentalmusik schreiben.

Abgesehen von diesen pragmatischen Überlegungen gibt es jedoch auch den Aspekt, dass ich mittlerweile der Ansicht bin, dass Instrumentale Musik prinzipiell mehr sein muss als nur der Versuch, einen bestimmten Klang zu erreichen. Das kann ein Computer auch, oder wird es bald können. Es muss etwas mit den Spieler*innen selbst zu tun haben, als Menschen. Jetzt bin ich nicht besonders sozial und gerade zu Musiker*innen finde ich fast nie wirklich einen Draht, deswegen sage ich mir, dass das nicht wirklich ein Gebiet ist, auf das ich mich spezialisieren möchte. Zumal mein Bedürfnis nach homogenen Klangfarben vermutlich auch am Computer leichter zu erreichen ist.

~ ẞ ~

Das alles aber nur als Vorbemerkung - eigentlich wollte ich den Ansatz beschreiben, der mir momentan öfter durch den Kopf geht: Komponieren als Flicken von psychologischen Wunden oder Aufarbeiten von verdrängten Emotionen.

Nun denken vielleicht einige gleich an Sprüche wie "Musik ist die Sprache der Gefühle!" oder ähnlichen Bullshit. Dieser Meinung war ich - zumindest seit ich darüber nachzudenken imstande bin - nie. Eine Übersetzung von Musik in bestimmte damit zu vermittelnde Emotionen funktioniert nur in einem engen kulturellen Rahmen, bei der alle Beteiligten eine ähnliche musikalische Erziehung genossen haben. Wenn das gegeben ist, kann es im Endeffekt ja auch sehr cool sein. Aber darum geht es mir nicht.

Vielmehr denke ich subjektbezogen: Ich frage mich, warum ein bestimmtes Werk bei mir bestimmte Emotionen auslöst, und ich frage mich, ob ich die Art und Weise, wie das passiert, verändern kann.

Ich habe öfter Probleme damit, dass mir eine Welle an alten Emotionen entgegenschwappt, der ich dann für kurze Zeit machtlos ausgeliefert bin. Sehr häufig tritt das mit Musik auf, die ich früher gehört habe (wobei mir auch mal ein bestimmtes lange nicht gehörtes Musikstück einfach so einfallen kann, ich es dann höre, und dann mit Emotionen überfallen werde.)

Ich habe ein Bedürfnis danach, gewisse sozusagen lose Enden musikalisch zu binden. Mir ist aufgefallen, dass es oft auch wirklich musikalisch offene Probleme gibt, die mit ungelösten emotionalen Problemen zusammenhängen. Es scheint mir eine kathartische Wirkung zu haben, solche alten Bruchstücke in einem neuen Stück zu binden. Essentiell dafür ist, dass es auch wirklich ein neues Stück ist - eine bloße Wiederholung des Alten erreicht genau das Gegenteil, nämlich noch mehr und verstärkte emotionale Instabilität. Es muss in einen neuen Kontext eingefügt werden, wo es seinen eigenen Platz haben kann.

Das funktioniert auch mit literarischem Schreiben - aber dazu kann ich mich nicht so oft aufraffen, außerdem bin ich bei weitem nicht so geübt darin, es richtig zu machen, d.h. nicht in die Falle zu tappen, das Alte bloß aufzuwärmen. Als "ausgebildete" Komponist*in gelingt mir das schon öfter. Musik, die ich auch selbst spiele, hat außerdem den Vorteil, dass ich ein Stück immer wieder neu interpretieren kann, d.h. an die aktuelle Gefühlslage anpassen. Dadurch werden auch die darin mehr oder weniger tief verborgenen alten Anteile dann immer wieder neu an die Gegenwart verankert.

Ist das noch Kunst? Mir egal. :-D
Für diese spezifische Arbeit ist es noch nicht einmal notwendig, dass das Endprodukt anderen gefällt (obwohl ich zumindest eine gewisse Korrelation bemerke, dass Werke, in denen mir das oben Beschriebene gelingt, oft auch gut ankommen.) Tendentiell funktioniert die Methode aber gerade bei romantischen/impressionistischen Stilen recht gut - vorausgesetzt, ich bringe die alten Motive in eine Struktur, die sie trägt. Prinzipiell sind aber alle Stile möglich - die Auswahl hängt stärker daran, um welche spezifische Emotion es geht, die transformiert in den Kontext der Gegenwart gesetzt werden soll.

~

Jundurg Delphimė, Mai 2018

Mittwoch, 9. Mai 2018

GKC - A Derivation Chart

I've made a chart:


A work-in-progress derivation tree of my Gunnerkrigg Chords pieces. :-)

This is by no means final. Just now I've plummaged through some loose sketches, and apparently there are at least 5 pieces that I've simply forgotten about, a few of which may be lost forever. (They weren't that good anyways.) Also, several pieces that are on this chart are not finished and titles might still change.

As you can see, almost every piece is derived from the Good Hope Theme. I've simply had too much fun to figure out if I can use the same motif in literally every key without transposing the motif itself.

It was in E Major in the original version, then I dropped down to E flat Minor in Dark Forest, and one more drop to D lead me to In the Fog. Then D flat - The Annan Waters - and C - Mort Fun Time. B minor is still a work in progress (one of the pieces that are missing in the chart), B flat Major however is there already in The Seed Bismuth (for just one example.)  A minor - Ghost Story (not yet finished); I'm not sure I have anything in A flat yet. G Major - Fanfare for the Robot King. While G flat is important in many pieces, I think there is no piece in G flat yet? In F however, I've got Lindsey.

I'm not done yet! :-)

(You can listen to the uploaded pieces here.)

Donnerstag, 3. Mai 2018

Üpdäätle -40-

Ich führe die im alten Blog begonnenen semi-regelmäßigen kleinen Journale über was so gerade in meinem Alltag ist, hier weiter fort. Und da ich ein Faible für fortlaufende Nummerierung habe, müsst ihr, liebe Leser*innen, damit leben, dass es gleich mit Nr. 40 beginnt. ^^

~ ẞ ~

Anfang des Jahres war davon geprägt, mich schrittweise bei den meisten meiner Freund*innen als non-binary zu outen. Die Reaktionen waren zwar überwiegend positiv, allerdings hab ich deswegen doch immer wieder eine Menge Angst, bezogen auf die nähere und fernere Zukunft, die in Wellen hochkommt und mich kurzfristig außer Gefecht setzt. Allzu oft kommt mir mein Leben auch einfach surreal und unwirklich vor - aber gut, das war eigentlich fast immer schon so.

Seit das Sommersemester begonnen hat, geht es mir aber insgesamt meist recht gut. Die Uni und der stabile Wochenrhythmus, der sich aus ihr ergibt, tun mir gut. Dass für mein Kompositionsstudium auch noch viel zu tun ist, habe ich nicht vergessen, aber momentan bleibt mir gar nicht so viel Energie, dass ich mir deswegen groß Gedanken machen würde. Die Challenge ist gerade eher, mit den diversen Philosophievorlesungen, vor allem aber mit Mathe, zurechtzukommen.

Musikalisch bewege ich mich am Klavier immer noch hauptsächlich zwischen den Welten der Tagebucheinträge, einer Serie von relativ abstrakten Stücken, die auch als Improvisationsgrundlage verwendet werden können, und den recht traditionellen Stücken, die ich stimmungsmäßig immer im Fantasy-Bereich verorte. Meine zwei gerissenen Klaviersaiten habe ich jetzt seit einer Woche wieder durch neue ersetzt, theoretisch kann ich also wieder aus dem Vollen schöpfen. (Praktisch habe ich seit Monaten durchgehend leicht entzündete Handgelenke, sodass ich eher vorsichtig bin. In theory.)

Was Musik hören betrifft, bin ich momentan ungeheuer ... "pragmatisch", wenn man so will. Um zu arbeiten oder zu schreiben, eignet sich bestimmte Computerspielmusik einfach recht gut. Zwischendurch wechsle ich halt mal zu B. Bartók, B. Tiščenko, oder L. Boulanger. Oder auch mal Tschaikowsky, Hindemith... ohne mir viel darüber Gedanken zu machen. Allesamt mir bereits wohlbekannte Stücke. Die restliche Zeit (die meiste) höre ich sowieso Podcasts, und da ist das bisschen Musik dann beschränkt auf was immer die Hosts für Musikgeschmack haben. Meine Gier auf Neues - meine Neugier - befriedige ich dann eher durch mein eigenes Spiel.

Ach ja, und was momentan auch einen gar nicht geringen Platz in meinem Alltag einnimmt, sind Computerspiele - vor allem solche, mit denen ich aufgewachsen bin, oder sehr ähnlich. Es ist für mich die perfekte Abendentspannung, einige Podcasts zu hören, und gleichzeitig Pyramiden zu bauen, oder so.

~ ẞ ~

Was ich so momentan vorhabe, zu bloggen:

- Music I Just Stumbled Upon: Die Serie braucht einen neuen Namen, das ist mir zu clumsy.^^ Außerdem will ich mich nicht strikt darauf einschränken, nur über etwas zu schreiben, was ich wirklich gerade unmittelbar vorher neu kennengelernt habe.

- Ein Projekt, das ich momentan gerade reizvoll finde, aber sehr viel Aufwand bedeuten würde: Das Buch Excluded von Julia Serano kapitelweise zu kommentieren. Es ist eine sehr erhellende Lektüre, und vielleicht schaffe ich es, die Kernaussagen auch verfügbar zu machen für Leute, die nicht ein ganzes Buch zu lesen vorhaben. Außerdem merke ich mir es dann selber besser. (Ein weiterer Kandidat für so ein Vorgehen wäre Harry Lehmanns Digitale Revolution der Musik. Das ist allerdings schon eine ganze Weile her. Zudem haben das andere schon gemacht? Mein Ansatz, auf die aufgeworfenen Probleme zu antworten, ist allerdings glaub ich nochmal ein anderer, als was ich bisher gehört hätte.)

- Generell mehr Posts, die Reaktionen auf anderes - Bücher, Blogs, Meinungen - sind. Ich hab mir vor etlichen Monaten mal einen kritischen Artikel zu Neuer Musik gespeichert, zu dem ich hoffentlich irgendwann mal komme. Der hätte nämlich eine interessante Kombination aus vielen Statements, denen ich voll zustimme, und einigen, denen ich überhaupt nicht zustimme.

- Buchrezensionen. Eigentlich hab ich die über die Jahre regelmäßig geschrieben, aber nie im Blog. Möglicherweise fange ich mal damit an, die hier auch zu posten. Eine eigene Seite mit Buchempfehlungen wird es unabhängig davon aber auf jeden Fall bald einmal geben.

- Alte Blogposts überarbeitet neu veröffentlichen - auch mit relativ viel Aufwand verbunden. Ich möchte die meisten Sachen nicht unverändert neu posten. Einige Sachen möchte ich unbedingt wieder wo stehen haben, um viele andere ist es nicht wirklich schade.
Der Post nach dem ich am meisten gefragt wurde, ist 5 Tugenden der Kreativität - gerade einer, der ordentlich Überarbeitung bedürfte. Ansonsten müssen natürlich meine beiden Schachvarianten mit vollständigen Spielregeln vertreten sein.

- Und so weiter. Ich werde mich nicht allzu sehr daran binden, irgendetwas, das ich hier erwähnt habe, auch wirklich durchzuziehen. Meine Motivation funktioniert eher so, dass ein bestimmtes Thema plötzlich beschließt, sich bei mir zu melden, und sagt "Schreib mich! Sofort!" als dass ich so genau planen könnte.

Dennoch könnt ihr gerne sagen, wenn es ein bestimmtes Thema gibt, über das ihr mich schreiben sehen wollt.

Jundurg Delphimė, Mai 2018

Dienstag, 1. Mai 2018

Eine unsaubere Sprache

Sprache ist unfair.

Die Sprachen, die wir heute sprechen, haben eine Vergangenheit, und die Gesellschaften, in denen sie gesprochen wurden, haben alle einen Abdruck hinterlassen. Sprache ist in der Regel die Sprache der Mehrheit, und deswegen kommt es oft vor, dass marginalisierte Gruppen in irgendeiner Weise auch mit einer Sprache zu ringen haben, die sie weiter an den Rand drängt. Besonders stark ist dies dort zu spüren, wo es um Geschlecht geht - zumindest die indoeuropäische Sprachfamilie neigt ganz stark dazu, entlang von Geschlecht alles in enge Kategorien zu teilen.

Wie nun aber damit umzugehen ist, die Sprache zu gestalten, sodass sie fairer gegenüber allen ist - das ist ein heikles Thema, bei dem sich selbst unter ansonsten progressiven Menschen leicht ein Streit entfachen lässt.

Zum einen gibt es gegenüber jeder Vorschrift schnell eine antiautoritäre Reaktion. Dass "die Feministinnen" die Sprache sämtlich gesetzlich mit Verboten regeln wollen, ist der Vorwurf, der vor allem von konservativer Seite (aber nicht nur von dort) immer wieder kommt. Den antiautoritären Impuls kann ich auch nachvollziehen - niemand lässt sich gerne etwas von anderen vorschreiben, gerade wenn es um etwas doch oft recht Persönliches wie Sprache geht.

Ein weiterer Faktor ist der Umstand, dass der Großteil der Diskussion zum Thema Sprache im englischsprachigen bzw. internationalen Kontext stattfindet. Viele Probleme, die gerade im Deutschen existieren, existieren im Englischen gar nicht, oder sie existieren in einer anderen Form. Von einer Sprache direkt auf die andere zu schließen führt zu Fehlern. Deswegen schreibe ich diesen Post auch nur auf deutsch.

Und schließlich gibt es keine Einigkeit darüber, was denn überhaupt der richtige Ansatz wäre, selbst unter Leuten, denen klar ist, dass sie etwas ändern wollen. Das wird sich wohl auch nicht ändern.

~ ẞ ~

Englisch hat es geschafft, eine generische Form für Berufsbezeichnungen zu haben - teacher sagt nichts über das Geschlecht der Person aus - und die wenigen Fälle, wo es doch Probleme gab, haben eine Lösung; aus layman wird halt layperson. Beneidenswert.

Im Deutschen geht es derzeit in die entgegengesetzte Richtung. Die in der Sprache versteckten Vorannahmen, die Menschen haben, wenn sie das Wort Lehrer hören - in der Regel eben z.B. keine Frau - haben zu der Bestrebung geführt, diese Vorannahmen bewusst am Wort zu kennzeichnen: Formen wie LehrerIn oder Lehrer/in. Da hier aber wiederum die nichtbinären Geschlechter unter den Tisch fallen, musste noch einmal eine andere Lösung her: Lehrer_in oder Lehrer*in.

Alle diese Lösungen haben gemeinsam, dass sie eigentlich fast nur in der schriftlichen Kommunikation funktionieren. Ja, es gibt Möglichkeiten, Lehrer*in auszusprechen, mit einem Glottalstop zwischen Lehrer und *in, zum Beispiel. Aber in der Aussprache ist das nicht zu unterscheiden von LehrerIn.

Ich weiß hier ehrlich gesagt auch nicht weiter. Ich verwende Lehrer*in als bevorzugte Form, derzeit. Die Möglichkeit zwischen verschiedenen Geschlechtern abzuwechseln, hat auch etwas für sich, funktioniert aber auch nicht überall, und wo Eindeutigkeit gefragt ist, bin ich damit nicht so glücklich - umgekehrt sehe ich es doch als zumindest einigermaßen wichtiges Nebenziel an, die Anzahl der Sternchen in einem Text eher klein zu halten. Daher schreibe ich z.B. die Lehrer*in und nicht der*die Lehrer*in, was noch inklusiver wäre.

Ich habe auch schon die Meinung gehört, dass es möglich gewesen wäre, an dem Punkt, als das Problem einer Unsichtbarmachung von nichtmännlichen Geschlechtern in der Sprache erstmals Aufmerksamkeit bekam, ein markiertes Maskulinum einzuführen:
Lehrero zum Beispiel als eine maskuline Form - dadurch würde, wenn es sich durchsetzte, Lehrer effektiv 'neutralisiert' werden. Die Lösung wäre ungeheuer elegant, aber natürlich ist es wiederum fast unmöglich, bei einer breiten Bevölkerung eine neue männliche Wortform einzuführen. Zudem: Welchen Artikel hat das unmarkierte Lehrer dann? Wenn es bei der Lehrer bleibt, wird das Projekt ja nicht wirklich so erfolgreich sein...

Der andere Ansatz wiederum löst das Problem nicht, dass Lehrerin gegenüber Lehrer eine markierte Form darstellt. Mit Markierung ist gemeint, dass die Endung -in als Zusatz zum unmarkierten Wortstamm im Prinzip eine Abweichung von der Norm ausdrückt - und die Norm wird somit als männlich festgesetzt.

Und ein generisches Femininum? In der Theorie auch eine mögliche Lösung - und darum, dass es cis Männer nervt, mache ich mir relativ wenig Sorgen (die hatten ja schon mehrere Jahrhunderte für sich), aber gegenüber trans Männern scheint es mir eine unglückliche Lösung zu sein, quasi Misgendern ihnen gegenüber in die Sprache einzuführen...

Das alles war aber nur mal, um zu zeigen, wie so ein typisches Sprachproblem aussieht, und wie wir uns daran den Kopf zerbrechen können. Meine momentanen Gedanken zu dem Thema gehen mittlerweile in eine etwas andere Richtung.

~ ẞ ~

Plädoyer für eine unsaubere Sprache


Ich habe mir wirklich lange den Kopf zerbrochen - und schließlich die Suche nach der einen Lösung aufgegeben. Das eröffnet neue Möglichkeiten: Wenn wir uns grundlegend von der Idee trennen, dass es genau eine richtige Art und Weise gibt, etwas auszudrücken, dann schaffen wir vielleicht die nötige Freiheit, in der sich Sprache weiterentwickeln kann. Das wäre meine Hoffnung.

~ ẞ ~

Wie könnte das aussehen? Ich bringe dazu ein Beispiel:

man

Das Wort wird von Feminist*innen kritisiert, weil es - wieder einmal - Männer als default nimmt. Meist wird die Grenze recht früh gezogen, wenn es um ähnliche Wörter geht: jemand, Mensch, ...
(Anmerkung: Die Etymologie von Wörtern muss gar nicht unbedingt korrekt sein, damit ein Wort zu einem Problem wird - es reicht auch schon, wenn die meisten Leute glauben, dass ein Wort nach etwas klingt.)

1.) Passiv

  • Das macht man in der Regel so. -> Das wird in der Regel so gemacht.
  • Das könnte man so bezeichnen. -> Das könnte so bezeichnet werden.
  • In diesem Gebirge findet man besonders viele Erze. -> In diesem Gebirge können besonders viele Erze gefunden werden.
  • Am Ende gibt man noch Salz hinzu. -> Am Ende wird noch Salz hinzugefügt.
  • Man sagt, dass man in jeder schwierigen Situation etwas lernen kann. -> Es wird gesagt, dass in jeder schwierigen Situation etwas gelernt werden kann.
  • Das sagt man nicht! -> Sowas wird nicht gesagt!
  • Wenn man mit Toten sprechen könnte, würde man vieles anders sehen. -> Wenn mit Toten gesprochen werden könnte, würden viele andere Sichtweisen eröffnet werden.
  • Das ist mehr, als man erwarten würde. -> Das ist mehr, als zu erwarten war.
  • Wie spricht man das aus? -> Wie wird das ausgesprochen?

2.) du / wir

  • Das macht man in der Regel so. -> Das machen wir in der Regel so.
  • Das könnte man so bezeichnen. -> Das könnten wir so bezeichnen.
  • In diesem Gebirge findet man besonders viele Erze. -> In diesem Gebirge findest du besonders viele Erze.
  • Am Ende gibt man noch Salz hinzu. -> Am Ende gibst du noch Salz hinzu.
  • Man sagt, dass man in jeder schwierigen Situation etwas lernen kann. -> ?!
  • Das sagt man nicht! -> Wir sagen sowas nicht!
  • Wenn man mit Toten sprechen könnte, würde man vieles anders sehen. -> Wenn wir mit Toten sprechen könnten, würden wir vieles anders sehen.
  • Das ist mehr, als man erwarten würde. -> Das ist mehr, als wir erwarten würden. (stark kontextabhängig)
  • Wie spricht man das aus? -> Wie sprechen wir das aus?

3.) man*frau

  • Das könnte man so bezeichnen. -> Das könnte man*frau so bezeichnen.
  • Man sagt, dass man in jeder schwierigen Situation etwas lernen kann. -> Man*frau sagt, dass man*frau ... ?!?!
  • Das sagt man nicht! -> Das sagt man*frau nicht!
  • Wenn man*frau mit Toten sprechen könnte, würde man*frau vieles anders sehen. (?)
  • Das ist mehr, als man erwarten würde. -> Das ist mehr, als man*frau erwarten würde.
  • Wie spricht man das aus? -> Wie spricht man*frau das aus?
(Anmerkung: Nur frau zu verwenden, ist in feministischen Kreisen recht häufig, finde ich aber eher unglücklich - es macht nichtbinäre Geschlechter erst recht unsichtbar. Es gibt vermutlich wenige Kontexte, wo frau wirklich passt - wenn es um rein weibliche Gruppen geht, vielleicht.)

4.) eins / eines

  • Das könnte man so bezeichnen. -> Das könnte eins so bezeichnen.
  • In diesem Gebirge findet man besonders viele Erze. -> In diesem Gebirge findet eins besonders viele Erze.
  • Am Ende gibt man noch Salz hinzu. -> Am Ende gibt eines noch Salz hinzu.
  • Man sagt, dass... -> Eines sagt... ?!?!
  • Das sagt man nicht! -> Das sagt eins nicht! (?)
  • Wenn eines mit Toten sprechen könnte, würde eins vieles anders sehen.
  • Das ist mehr, als eins erwarten würde.
  • Wie spricht eins das aus?
(Anmerkung: die Form 'eines' habe ich sonst noch nirgendwo gesehen, ich hab sie einfach mal dazufabuliert, weil sie mir auch manchmal gefällt.)

5.) man (hin und wieder, oder Mischformen)

  • Man sagt, dass eins in jeder schwierigen Situation etwas lernen kann.
  • Wenn man mit Toten sprechen könnte, würden wir vieles anders sehen.

6.) Wildes Umformulieren

  • Das macht man in der Regel so. -> Die meisten Leute machen das so.
  • Das könnte man so bezeichnen. -> Die Bezeichnung ist dafür vielleicht ganz gut geeignet. (?)
  • In diesem Gebirge findet man besonders viele Erze. -> Dieses Gebirge ist reich an Erzen.
  • Am Ende gibt man noch Salz hinzu. -> Die letzte Zutat ist etwas Salz.
  • Man sagt, dass man in jeder schwierigen Situation etwas lernen kann. -> Es geht die Rede, dass es in jeder schwierigen Situtation etwas zu lernen gibt.
  • Das sagt man nicht! -> Sag so etwas nicht! (Bitte.^^)
  • Wenn man mit Toten sprechen könnte, würde man vieles anders sehen. -> Wäre es möglich, mit Toten zu sprechen, welche neuen Sichtweisen uns das wohl eröffnen würde!
  • Das ist mehr, als man erwarten würde. -> Das ist mehr, als erwartet.
  • Wie spricht man das aus? -> Kannst du mir sagen, wie die Aussprache von dem ist? (?)


Ich habe Formulierungen, die mir seltsam erscheinen, mit (?) markiert, Stellen, wo ich umformuliert (geschummelt) habe, fett markiert, und Sätze, die mir sehr unschön erscheinen, rot. Das ist natürlich sehr subjektiv. ;-)

~ ẞ ~


Welche Variante die beste ist, hängt nicht nur von der Satzkonstruktion ab, sondern auch von den Dialekten, Soziolekten oder Varietäten, in denen gesprochen wird, sowie vom Kontext, von der Textart, von persönlichen Stilfragen, und so weiter. Selbst österreichisches und bundesdeutsches Hochdeutsch unterscheiden sich schon deutlich darin, wie Sätze formuliert werden, und auch in Jugendslangs, Internetslangs oder Denglisch gelten oft nochmal komplett andere Regeln.

Aus meiner Sicht ist es sinnlos, in einer lebendigen Sprache nach einer allgemeingültigen Formel zu suchen. Genauso führt es - und hier ist meine Meinung wohl etwas kontroversieller - eher zu Problemen, wenn versucht wird, bestimmte Formen als Standard zu etablieren, und begonnen wird, von anderen zu verlangen, sich nach diesem zu richten. Das schadet oft auch genau den Leuten, wegen denen überhaupt nach einer Veränderung der Sprache gesucht wurde.

Ich wünsche mir eine Kultur, in der versucht wird, Menschen zu einem kritischen Umgang mit ihrer Sprache zu ermuntern. Aber keine, in der jede Formulierung ein potentieller Streit wird. Da ist es mir sogar lieber, wenn Leute einfach man schreiben - wenn sie ansonsten bemüht sind, dazuzulernen und niemanden unnötig zu verletzen.

Ich habe in den letzten Monaten festgestellt, das es ganz gut funktioniert, als erstes die Passivform auszuprobieren - und das lässt sich auch schnell angewöhnen - und wenn das nicht funktioniert, zu einer der anderen Optionen zu greifen. Und hin und wieder auch bewusst mal ein man einstreuen, wenn es einfach dort gut klingt. Manchmal klingt eins gut, manchmal eben nicht - hängt vom Satz ab.

Und schließlich bevorzuge ich ganz stark Lösungen, die auch in gesprochener Sprache funktionieren. Das ist dann oft ein generisches Femininum (mit den angesprochenen Problemen), aber es wachsen vereinzelt schon Alternativen - zum Beispiel Lehrperson, Lehrpersonen. ;-)

~ ẞ ~

Wenn ich die ganze Zeit davon schreibe, Vielfalt zuzulassen, heißt das natürlich nicht, dass es keine Formulierungen gibt, die einfach wirklich übel sind. Oder natürlich so etwas wie Schimpfwörter, die sich auf Geschlecht, Rasse, Herkunft, sexuelle Orientierung, usw. beziehen. Diese können wir aber auch aussortieren, ohne dass wir die Sprache an anderer Stelle einschränken.

Fazit:

Eine heterogene, unsaubere Sprache bietet den Platz, verschiedene Varianten auszuprobieren. Neue Formulierungen können sich überhaupt nur durchsetzen, wenn das pedantische Beharren auf einer Norm - egal ob einer alten oder neuen - ausgesetzt wird. Das kriegen wir hoffentlich hin. :-)

Jundurg Delphimė