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Dienstag, 4. Juni 2019

Männlichkeit

Vor einigen Monaten hatte ich auf der Straße eine Konversation, die im Wesentlichen ungefähr so ablief:

- Hey bist du schwul?
- Ne
- Du bist schwul, gib's zu
- Nein, ich bin nicht schwul
- Schäm dich!
- Für was?
- Für deine Männlichkeit!

Es war hellichter Tag, Mittag und strahlender Sonnenschein, und an einer stärker befahrenen Straßenkreuzung. Wäre es dunkel gewesen, hätte ich mich vielleicht geduckt und wäre weitergegangen, ich weiß es nicht. Ich glaube fast, dass ich dafür im Moment noch zu stur bin. Angst hab ich eher im Nachhinein.

In feministischen Kreisen wird oft über "fragile Männlichkeit" geredet, und dieses Konzept hatte ich natürlich auch im Kopf, aber mir war bewusst, dass es nichts bringt, damit anzurücken, wenn die andere Person sowieso schon keine Ahnung hat. Ich hätte gerne gesagt, dass ich bi bin, aber - warum halt? Was geht es ihn an?

Was soll das jedenfalls sein, diese Männlichkeit? Manchmal scheint es, als wäre Männlichkeit einfach nur dadurch definiert, nicht so zu sein, wie Frauen (in einem sehr spezifischen Frauenbild) zu sein haben. Das heißt, alles was allocishetero Männer an Frauen interessiert, gilt es strikt zu vermeiden. Dazu gehört in Extremfällen auch, sich zu waschen. Ernsthaft.

Ich kann den Impuls schon verstehen, sich als Gegensatz zu etwas zu definieren. Das passiert uns allen schnell: Ich bin nicht so, also möchte ich, dass ihr auch seht, dass ich nicht so bin. Abgrenzung eben. Als transweibliche Person ist es mir unangenehm, mit Männern assoziiert zu werden.

Zur Aufrechterhaltung des Status quo "Männer sind das wichtige Geschlecht" ist es notwendig, Femininität abzuwerten. Ich glaube, dass "Feminine Männer" in dieser Hinsicht das Feindbild Nr.1 sind. Dieses drückt sich oft als Homophobie aus, natürlich (das ein Gutteil von Schwulen mit Femininität selbst nicht viel anfangen können, wird dabei vergessen), aber auch in Form von Transfeindlichkeit. Weil sehr viele Leute eben "trans Frau" = "Mann in Frauenkleidern" im Kopf haben, was kompletter Blödsinn ist, aber dadurch werden transweibliche Personen dann eben mit Schwulen assoziiert, und ein random Typ auf der Straße meint, dass ich schwul wäre, weil ich einen Rock trage.

Dass in Pride Events schwule Männer in Drag so präsent sind, macht die Sache nicht besser. Viele trans Personen haben deswegen auch schon eine starke Abneigung gegen Drag Queens allgemein entwickelt - verständlich, aber natürlich gab es historisch viel Verknüpfungspunkte, und eine strikte Trennung übersieht eben auch wieder, dass Geschlecht noch ein wenig komplexer sein kann. Außerdem gibt es auch Frauen, die sich als Drag Queen wohlfühlen, also im Sinne einer Ästhetik oder Gender Performance.

Wie dem auch sei. Ich weiß immer noch nicht so recht, was ich mit Männlichkeit anfangen soll, und warum ich für diese schämen soll. Ich begehe offenbar ein Verbrechen gegen die Männlichkeit, indem ich einen Rock trage. Aha.

Der Gedanke, eine Art Verräter*in am Geburtsgeschlecht zu sein, hat schon was, muss ich zugeben. Ich habe den Feind infiltriert, und ich weiß, wie ihr tickt, o cis Männer, habt acht! Ne - ich bin etwas albern. Meine Menschenkenntnis reicht nicht wirklich, um so eine Rolle zu erfüllen.

~

Naja, warum mache ich mir dazu derzeit wieder Gedanken? Weil ich allmählich aufgrund meines äußeren nicht mehr wirklich als straight gelesen werden kann. Und ich frage mich permanent, in welche Schublade mich die Leute packen, die mich auf der Straße mit gerunzelter Stirn einmal kurz abchecken und wieder wegsehen. Schwul? Drag Queen? Weirdo? Pervers? Trans? None of your Business?

Vermutlich machen sich Leute weniger darüber Gedanken, wer ich bin, als ich mir Gedanken mache, wie sie mich sehen könnten. Da ist ein Rest von Sozialphobie übriggeblieben: Ich kann nur sehr schwer aufhören, mir Gedanken darüber zu machen, wie andere mich sehen.

Aber mit jedem bisschen mehr, das ich von meiner zugewiesenen Rolle "Mann" abweiche, gewöhne ich mich mehr daran. Ich werde diese Gewöhnung in den nächsten Jahren auch brauchen. Die bürokratischen Hürden für eine Transition sind beachtlich, und das selbst in einem Land, in dem die Rechtslage verhältnismäßig gut ist.

Samstag, 11. Mai 2019

Toxic Debate Culture

 (This was originally posted on my facebook wall in march 2018.)


Toxic debate culture:

When you think that if a person cannot articulate their position, they have lost and that makes you right.

When you think that if a person cannot defend their position, they have lost and that makes you right.

When you think that if a person refuses to debate you, they do so because they cannot defend their position, and so they have lost and that makes you right.

When you think that if your opponent shows any kind of emotional response to what you have said, they are obviously not reasonable, and thus have lost ... and that makes you right, of course.

When you think that all questions are up for debate, regardless of either you or the other person having any expertise on the subject.

When you think that you have a right to debate anyone that disagrees with anything you say.

When you try to make as many controversial statements as possible - just because you like peoples emotional reactions to them.

When you get so infatuated with being technically correct that you spend most of your time defending bigots because someone makes slightly incorrect assumptions about their views.

When you admire people just for their skill of winning against your opponents, but not for what they actually say, teach, or do.

~


I feel like I could re-post this every year. It is such a common pattern online, especially from anti-feminists. I'm getting better at countering those strategies, though. "Why do you think you are qualified for this debate?" has worked pretty well (okay, I only tested it once so far).

Why? Because it hits their ego.

Those kind of guys (well, it's almost always guys, although I'm sure there are plenty toxic "debaters" of other genders out there) believe that they are rational, quasi immune to bias, and for them to acknowledge that they might actually need to educate themselves is too frustrating. Because debating is fun, and researching is not.

I get that. I loved debating, and still do, when it's about topics that have no real-life consequence for people around me. However, I do no longer feel the need to point out why your argument for the existance of gods is wrong... because there are *so many* more important things to worry about. Like, literal apocalypse within this century. Rise of fascism. Or whether this fucking dress is blue or gold. Okay, not the last one. But seriously, I'd rather have a good time with a hardcore christian who also happens to be a genuinely good ally to marginalized people than a "rational" dude whose opinion of equality is that other people can have it, but only if he never has to lift a finger to actually promote it.

Well, this has kind of turned into another rant... I'm writing this now because another man I once looked up to has been consistently more shitty and I have to do something with my disappointment. Like, thanks for teaching me skepticism when I was an esoteric weirdo and needed this lesson, but ... I'm gonna move on, I guess. So long, and thanks for all the ghoti.

Donnerstag, 8. November 2018

LGBTQIA+ Begriffsdschungel - Teil 3: Und der ganze Rest

Im dritten und abschließenden Teil meiner LGBTQIA-Dschungeldurchquerung habe ich neben Ergänzungen zum Bisherigen eine Reihe von "Randthemen" gesammelt - also Themen, bei denen es bestimmte Überschneidungen mit queeren Themen gibt und die oft zusätzliche Komplexitäten hinzufügen.

Bei den meisten davon bin ich keine Expert*in, und habe deswegen auch nur an der Oberfläche gekratzt. Mir geht es eher darum, das Bild abzurunden und zu erwähnen, was ich bei den anderen Teilen ausgespart hatte.

Wie ich auch bei den ersten Teilen in den letzten Wochen/Monaten immer wieder kleine nachträgliche Korrekturen gemacht habe, werde ich das vielleicht auch hier so halten - generell gilt für diesen Teil 3 aber am meisten: Ich hab nur zusammengeschrieben, was ich kenne, und teilweise kaum recherchiert oder nur aus bestimmten Perspektiven - oder es ist sogar einfach meine eigene. ;-) Für Hinweise, wenn ich wo total danebenliege, oder wenn ich noch etwas ergänzen könnte, bin ich dankbar.

~ ẞ ~


Inhalt von Teil 3:

A - LGBTQIA+ und der Rest der Welt
B - Sexismen und Normvorstellungen
C - Polyamorie und alternative Beziehungsformen
D - BDSM
E - Otherkin
F - Multiplizität und DIS

Teil 3: Und der ganze Rest

(Content Note: Diskriminierungen, Sexismen, Gewalt, Trauma)


A. LGTBTQIA+ und der Rest der Welt


* ally (Verbündete)

Allen queeren Identitäten ist gemeinsam, dass sie in der Bevölkerung Minderheiten sind, und daher auf die Unterstützung der Mehrheitsgesellschaft angewiesen sind. Nichtsdestotrotz sind viele erst einmal skeptisch, wenn sich eine nicht-queere Person selbst als "Ally" deklariert - diese Skepsis rührt aus vielen schlechten Erfahrungen.

Zum Beispiel so etwas:
"Wenn ihr so aggressiv seid, braucht ihr euch nicht wundern, dass ihr keine Allies habt" - das kriegen wir so oder in ähnlicher Form öfter mal zu hören. Allerdings - wer nur zu Menschen einer Minderheit hält, wenn diese immer nett zu einem sind, braucht sich eigentlich nicht Ally nennen; dazu gehört auch das Verständnis, dass es wunde Punkte gibt, und dass Menschen, die verletzt werden, eben auch emotional reagieren können.

Die oberste Regel sollte sein, Menschen zuzuhören, wenn sie über ihre Erfahrungen mit Diskriminierung sprechen - sie wissen es normalerweise besser!

Nichstdestotrotz ist es wichtig, dass manche queere Räume auch Allies offenstehen - vor allem auch unter dem Gesichtspunkt, dass viele Leute, die sich ihrer Orientierung oder ihres Geschlechts noch nicht richtig bewusst sind, zu Communities Kontakt suchen, und sich zu Anfang erst einmal als Ally deklarieren.

* QUILTBAG

Eine Variante, um sich die Buchstaben in LGBTQIA+ besser merken zu können. Das "U" steht dabei für "undecided".

* angeboren, unveränderlich?

An der Frage, ob Geschlechtsidentitäten und Orientierungen angeboren sind, hängt oft viel, da es ein wichtiges Argument ist, dass von LGBTQIA-Aktivist*innen vorgebracht wird, um für ihre Menschenrechte zu kämpfen. Es ist heikel, das in Frage zu stellen.

Wenn schon nicht angeboren per se, sind doch Orientierung und Geschlecht für die meisten Menschen über ihr ganzes Leben sehr stabil; bei manchen etwas weniger als bei anderen. Ich will aber darauf hinweisen, dass, nur weil etwas veränderlich ist, das noch nicht heißt, dass die Art oder Richtung dieser Veränderung kontrolliert werden kann; und schon gar nicht, dass irgendjemand dazu gezwungen werden darf, es zu versuchen.

Manche Menschen fragen sich ihr Leben lang, ob ein erlebtes Trauma ihre Orientierung oder Geschlechtsidentität beeinflusst hat - das kann recht quälend sein. Aber selbst wenn es eine Vorgeschichte gibt, ist die Identität, so wie sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt nunmal ist, nicht weniger valide.

* Psychische Schwierigkeiten

Menschen aus dem LGBTQIA-Spektrum wird sehr oft an den Kopf geworfen, dass sie doch irgendwie gestört oder geisteskrank wären. Aus dieser Perspektive kann es verunsichernd wirken, mit Statistiken konfrontiert zu werden, wie es mit psychischer Gesundheit von LGBTQIA-Personen so steht - nämlich oft nicht gut. Das liegt aber in den meisten Fällen klar daran, dass es zu enorm viel Belastungen führt, in einer Gesellschaft zu leben, die uns nicht akzeptiert, wie wir sind. Gerade bei trans Personen gibt es auch schon Studien, die belegen, dass die Rate an psychischen Krankheiten deutlich geringer ist, wenn sie schlicht in einem Umfeld leben können, das ihnen nicht feindlich gesinnt ist. Für Kinder, die in einer Familie aufwachsen, die ihre Identität nicht akzeptiert, bedeutet das aber leider oft ein lebenslanges Trauma.

* Pathologisierung

Einer der ersten Schritte, gegen eine Gruppe von Menschen vorzugehen, ist, sie als krankhaft darzustellen. Das ist in der Geschichte von Medizin und Psychologie (bis in die Gegenwart) aber ein allgegenwärtiges Phänomen, so sehr, dass es uns manchmal nicht einmal bewusst ist, dass es passiert.

Bis zum ICD-10 im Jahr 1992 war Homosexualität von der WHO als eine psychische Störung klassifiziert. Im kommenden ICD-11 wird Transgender-Sein (oder wie es hieß, "Transsexualismus") zwar aus der Liste der psychischen Störungen genommen, dabei aber Genderdysphorie zum Kapitel 'Conditions Related to Sexual Health' gepackt, in dem sich anderen Unterkapitel auch erektile Dysfunktion, Paraphilien, Exhibitionismus und Voyeurismus befinden - diese Nachbarschaft erzeugt jetzt auch nicht wirklich Begeisterung. Zumindest hat aber ein Umdenken begonnen, das den Fokus auf die Dysphorie selbst als diagnostiziertes Problem lenkt, und die Identität selbst nicht mehr pathologisiert.

Intergeschlechtliche Menschen ringen unterdessen darum, dass ihre Körper nicht als Fehlbildungen abgetan werden, wenn sie doch genauso gut oder schlecht funktionieren wie die anderer Menschen auch.

Zugrunde liegt all diesen Phänomenen der Gedanke "krank ist, was nicht der Norm entspricht" und somit die Idee, es gäbe nur genau eine Art von richtigem Körper und richtigem Leben. Hier befinden wir uns bereits in unmittelbarer Nähe zu faschistischem Gedankengut, das diese Idee noch auf "Völker" ausweitet.

* Gay Conversion Therapy

Besonders im religiös-fundamentalistischen Umfeld gibt es auch heute noch die Idee, dass sich eine von der Heteronormativität abweichende sexuelle Orientierung "wegtherapieren" ließe. Solche Versuche waren (bzw. sind) sehr gewaltvoll und entbehren jeder wissenschaftlichen Grundlage.

B. Sexismen und Normvorstellungen


Begriffe die sich auf gesellschaftliche Strukturen beziehen, sind schwer zu definieren, und da ich keine besonderen Kenntnisse von Soziologie, Gender Studies, etc. mitbringe, werden meine Definitionen vermutlich nicht so formuliert sein, wie sie von Expert*innen verstanden werden. Nehmt diese Auflistung also auch nur als einen groben Überblick.

* Heterosexismus

Die (gesellschaftlich verankerte) Vorstellung, dass nur Heterosexualität normal sei, und jede Abweichung davon unnatürlich und fehlerhaft.

Es geht dabei nicht nur um persönliche vorurteile, sondern auch um gesamtgesellschaftliche Normvorstellungen, die sich z.B. in diskriminierenden Gesetzen niederschlagen, fehlendem gesetzlichen Schutz vor Ungleichbehandlung und auch stillschweigendem Ignorieren von Ausgrenzung, die in Bereichen passiert, die nicht gesetzlich geregelt werden können.

* Monosexismus

Die (gesellschaftlich verankerte) Vorstellung, dass es natürlich und richtig für Menschen ist, sich zu nur einem Geschlecht hingezogen zu fühlen, d.h. entweder heterosexuell oder homosexuell zu sein. Monosexismus ist eine Grundlage für Diskriminierung von Bi*sexuellen.

* Cissexismus

Die (gesellschaftlich verankerte) Vorstellung, dass es natürlich und richtig für Menschen ist, eine Geschlechtsidentität zu haben, die genau derjenigen entspricht, die sie bei der Geburt zugewiesen bekommen. "cissexistisch" ist mehr oder weniger synonym zu "transfeindlich".

Viele Spielarten von cissexistischen Denkens enthalten die Idee, dass es so etwas wie eine Geschlechtsidentität gar nicht gibt, oder dass diese zu 100% biologisch festgeschrieben ist (hier wird allerdings auch auf vereinfachte bzw. veraltete Biologie verwiesen). Eine häufige cissexistische Aussage ist auch "Es gibt nur zwei Geschlechter, und diese sind biologisch fest vorgegeben!".

Auch trans Personen sind davon nicht gefeit - schließlich wachsen wir in einer Gesellschaft auf, die von Cissexismus tief durchtränkt ist. Wenn trans Personen überhaupt in Büchern, Filmen, etc. vorkommen, dann oft als lächerliche Witzfiguren oder als eingestreuter Gag. Wenn es überhaupt zu einer Erwähnung kommt.

* Exorsexismus

Exorsexismus - abgeleitet vom logischen Gatter XOR, also "das eine oder das andere, aber nicht beides" - bezeichnet Feindseligkeit gegenüber nichtbinären Personen. Meistens wird Exorsexismus mit Cissexismus gleich "mitgeliefert", allerdings gibt es auch binäre trans Personen, die nichtbinäre Identitäten für ungültig halten und nichtbinäre Personen aus trans Gruppen ausschließen wollen.

Das wohl verbreitetste Beispiel für üble Hassrede gegen nichtbinäre Personen sind "Witze" der Form von "Ich identifiziere mich als [X]", wobei für [X] etwas möglichst abwegiges eingesetzt wird, um nichtbinäre Identitäten als lächerlich darzustellen.

* Bi-Erasure

Bi*sexuelle werden medial oft weggelassen, versteckt oder wegerklärt. In vielen Köpfen geistert die Idee, dass es Bi*sexuelle eigentlich gar nicht gibt, bzw. dass eine Person lügt, die sich so bezeichnet, wenn sie z.B. in ihrem Leben nur Beziehungen mit Menschen eines Geschlechts hatte.

Bei nachträglichen Zuschreibungen, etwa verstorbenen Prominenten, wird oft bewusst oder unbewusst ignoriert, dass eine Person bi*sexuell war, und sie stattdessen in eine heterosexuelle oder homosexuelle Schublade gesteckt.

* Allosexismus

Die (gesellschaftlich verankerte) Vorstellung, dass es natürlich und richtig für Menschen ist, sich sexuell zu anderen hingezogen zu fühlen, und dass sexuelle Anziehung für ein gelungenes (Erwachsenen-)Leben notwendig ist.

"allosexistisch" sehe ich als synonym zu "ace-feindlich" bzw. "asexuellenfeindlich".

* Amatonormativität (amatonormativity)

Die Vorstellung, dass alle Menschen romantische Beziehungen eingehen wollen oder sollen; dazu gehören auch Ideen wie, dass es zu einem guten Leben dazugehört, mit einer Partner*in zusammenzuziehen, gemeinsam Kinder (und Enkelkinder) zu bekommen, dass Freundschaften niemals romantische Beziehungen ersetzen können, dass Freundschaften weniger wert seien als Liebesbeziehungen, dass sich das Leben um die Partner*in zu drehen hat, und alles andere zweitrangig ist.

C. Polyamorie und alternative Beziehungsformen


Dieses Thema ist sehr komplex, daher versuche ich hier nur, einige Grundbegriffe aufzuzählen - Leser*innen mögen sich für tiefergehendes Einlesen bessere Quellen suchen als meinen Blog.

* Polyamorie

Viele verschiedene Arten, konsensuell mehr als eine (meist als sexuell und/oder romantisch verstandene) Beziehung zu führen, lassen sich unter dem Überbegriff Polyamorie versammeln.

Das entscheidende Merkmal der Polyamorie ist, dass sie konsensuell ist, d.h. dass die Partner*innen sich darüber im Klaren sind, dass es sich um polyamore Beziehungsformen handelt. "Fremdgehen" ist daher nicht polyamor.
 Es kann in polyamoren Beziehungen sehr klar vereinbarte Regeln geben - oder auch die Vereinbarung, möglichst wenige feste Regeln zu haben - und alles dazwischen.

Es gibt unterschiedliche Ansichten dazu, ob Polyamorie für sich genommen "queer" ist. Es gibt natürlich viele cisgender+heterosexuelle+allosexuelle Menschen, die polyamorös leben - und es ist auch nicht abzustreiten, dass auch gegenüber den meisten Formen von Polyamorie große gesellschaftliche Vorurteile bestehen, sowie wenig oder kein rechtlicher Schutz. Klar ist also, dass gegen polyamorös lebende Menschen diskriminiert wird - allerdings ist "queer" historisch ein Schimpfwort, dass sich gegen LGBTQIA-Menschen gerichtet hat, und von diesen heute reclaimt wird.

Auch im Sinne der sprachlichen Praktikabilität ("queer" als schnelles Synonym zu "LGBTQIA+") werde ich Polyamorie nicht als queer bezeichnen. Wenn über gemeinsame Diskriminierungserfahrungen geredet wird, kann dies auch über ein Kürzel wie "queer/poly" gemacht werden.

> Link: Den Comic KimchiCuddles finde ich persönlich einen möglichen guten Einstieg ins Thema.

* Metamour

Eine Partner*in einer Partner*in.

* Mitfreude (compersion)

Während Eifersucht oft für polyamor lebende Menschen ein schwer zu bewältigendes Problem darstellt, gibt es auch deren Gegenteil, die Mitfreude - also eine Freude darüber, dass eine Partner*in eine neue Beziehung mit jemand anderem beginnt oder genießt.

* Triade

Eine Beziehung zwischen drei Personen, die zusammen ein (geschlossenes) Dreieck bilden.

* Polykül (polycule)

Durch polyamore Beziehungen können sich komplizierte soziale Strukturen ergeben, die, wenn sie als Beziehungsdiagramm aufgezeichnet werden, an Moleküle erinnern. In einem großen Polykül kann eine Person die Partner*in der Partner*in der Partner*in ... usw. sein.

* polyfidel, Polyfidelität

Eine Beziehungsform, bei der die Beteiligten ohne Absprache keine weiteren Beziehungen beginnen (ähnlich wie in einer monogamen Ehe) aber es eben mehr als zwei Personen sind, ist polyfidel. Das hat z.B. den Vorteil, gegen sexuell übertragbare Krankheiten geschützter zu sein, weil es ein geschlossenes System ist.

* Relationship Anarchism (Beziehungsanarchie)

Die Idee, dass jede Beziehung zwischen Menschen individuell ist und für sich selbst betrachtet werden sollte; d.h. dass Unterscheidungen zwischen Liebesbeziehungen, sexuellen Beziehungen, usw. zu grob sind, oder deren Regeln zu eng gefasst.

D. BDSM


BDSM ist ein Mehrfachakronym, bei dem jeweils zwei benachbarte Buchstaben zusammen gelesen werden können, und zwar BD als "Bondage und Disziplin", DS als "dominant-submissiv" und SM als "Sadismus und Masochismus". Zwischen BDSM und queeren Communities gibt es Überschneidungen, aber auch hier gilt, dass nicht jede Person, die BDSM praktiziert, queer sein muss.

BDSM ist ein sehr weites Feld, das nicht unbedingt mit Sexualität zu tun haben muss, sondern auch beispielsweise um Erfahrungen von Abhängigsein, Sich-jemandem-voll-Anvertrauen, oder umgekehrt Kontrolle auszuleben.

* safeword

In der BDSM-Szene wird sehr viel Wert auf Konsensualität gelegt, vielleicht sogar mehr als irgendwo sonst. Meist wird dafür ein Safeword vereinbart - ein Wort, das ein unbedingtes Signal dafür ist, dass eine Handlung abgebrochen werden muss.

* Kink

Ein Kink ist eine sexuelle Vorliebe, die als außergewöhnlich angesehen wird.

* Fetisch

Ein Fetisch ist eine sexuelle Vorliebe, die für eine Person so wichtig ist, dass sie ohne diesen Fetisch keine oder fast keine sexuelle Erfüllung erlebt.

E. Otherkin


Otherkin ist eine (Selbst-)Bezeichnung für Personen, die sich nicht zur Gänze als Mensch identifizieren. Dabei ist ihnen bewusst, dass sie in/mit einem menschlichen Körper leben, es geht eher um ein inneres Wesen oder auch um eine Beschreibung des Charakters. Oft wird das auch spirituell verstanden. Womit sich Personen identifizieren, kann sehr unterschiedlich sein, es müssen keine real existierenden Wesen sein.

Manche trans Personen lehnen otherkin Personen ab, weil sie befürchten, dass Analogien gezogen werden, die benutzt werden können, um Transsein zu invalidieren. Allerdings sind viele otherkin Personen selbst trans, sodass es Überschneidungen zur Geschlechtsidentität gibt.

Es kann unterschieden werden zwischen "identifizieren als" und "identifizieren mit". Ersteres entspricht eher der Erfahrung von trans Menschen (sie sind ihr Geschlecht, stellen das fest und teilen es anderen mit), letzteres vielleicht eher otherkin Personen.

> Link: Mein Halbwissen zu diesem Thema stammt zu einem Großteil von einer Podcast-Episode "Sharks have no concept of gender", in der sich trans und (sekuläre) otherkin Personen miteinander unterhalten. Grundtenor ist, dass es prinzipiell harmlos ist, und es daher keinen Grund gibt, anderen ihre Identifikation mit etwas abzusprechen.


F. Multiplizität und Dissoziative Identitätsstörung


(Content Note: Trauma, Gewalt)

Hierauf werde ich nur kurz eingehen, weil es ein sehr heikles Thema ist, und ich auf keinen Fall für Betroffene von DIS sprechen möchte. Der Grund, warum ich es überhaupt erwähne, ist, dass es bei Multiplizität - also mehrere getrennte Personen/Persönlichkeiten/Alters in einem Körper - öfter auch dazu kommen kann, dass die einzelnen davon unterschiedliche Geschlechter oder Orientierungen haben können, wodurch Menschen einen noch einmal anderen Bezug zum LGBTQIA-Spektrum haben können, den ich bisher eben nicht angesprochen hatte.

Dissoziative Identitätsstörungen (DIS) sind - soweit ich weiß - nach derzeitigem Konsens ein Ergebnis von schwerer Traumatisierung. Dementsprechend ist es sehr wichtig, nicht einfach fröhlich dahinzuphilosophieren, sondern zu beachten, dass es für Betroffene ein unangenehmes Thema ist, und eine Diskussion potentiell triggernd sein kann. Deswegen habe ich den Abschnitt (und den Post) mit Inhaltswarnungen zu Trauma und Gewalt versehen, auch wenn ich nicht explizit darüber spreche.

Das Bild von den "bösen Alter-Egos" ist leider immer noch medial omnipräsent, wenn es um Multiplizität geht. Im Gegenteil haben Alters (d.h. die weiteren Persönlichkeiten) oft den Zweck, vor den traumatisierenden Erfahrungen zu schützen, indem diese Erfahrungen eben vom Rest getrennt werden.

> Link: Mein Halbwissen zum Thema DIS stammt hauptsächlich von einem Youtube-Kanal einer Betroffenen, den ich hier verlinke: MultiplicityAndMe - Natürlich ist das nur eine Perspektive, und es gibt noch sehr viele andere. Genauso wie auch für alle Personen aus dem LGBTQIA-Spektrum bewerte ich die Erfahrungen von Betroffenen insgesamt höher als die der "Expert*innen" (etwa aus der Psychiatrie) - aber natürlich kann niemals eine Einzelperson für die anderen sprechen.

* System

Für die Gesamtheit der Persönlichkeiten in einem Körper wird oft der Begriff "System" verwendet, also etwa formuliert "Wir sind ein multiples System" oder "Ich bin Teil dieses Systems". Manchmal geben sich Systeme selbst noch einen eigenen Namen, um von den einzelnen Alters abzugrenzen - meist gibt es aber eine Persönlichkeit, welche die "ursprüngliche" ist, und den Namen für das System stellt.

* Singlet

Bezeichnung für eine nichtmultiple Person, also für jemand, der*die "alleine im Kopf" ist.

* Median, Median-System

Wie fast überall gibt es auch bei Multiplizität (das an sich schon ein riesiges Spektrum sehr unterschiedlicher Erfahrungen ist) Grauzonen - eine Bezeichnung für etwas zwischen Singlets und multiplen Systemen ist "Median-System".

Ich weiß von keiner Forschung, die einen Zusammenhang zwischen Median-Systemen und Genderfluidität zum Thema hätte - und vermutlich gibt es Leute, die meine Vermutung, dass es hier einen Zusammenhang geben könnte, problematisch finden. Dennoch wollte ich das kurz ansprechen - es gibt allerdings ohnehin zu Median-Systemen noch kaum Information zu finden, und es ist kein psychologischer Fachbegriff, sondern ist nur in einigen Communities von Menschen auf dem multiplen Spektrum verbreitet.

* Tulpas, Soulbonds, "healthy multiplicity"

"Healthy Multiplicity" bezeichnet den Ansatz, Multiplizität nicht als etwas Negatives zu sehen, sondern als etwas Positives oder manchmal sogar Erstrebenswertes. Dieser Begriff ist auch wieder sehr heikel, da viele Betroffene von DIS es (verständlicherweise) sehr negativ aufnehmen, wenn etwas, unter dem sie ihr Leben lang leiden, von anderen als erstrebenswert dargestellt wird.

Aus der tibetischen Mythologie ist der Begriff "Tulpa" entlehnt, der Anfang der 2010er-Jahre im Internet als Bezeichnung für bewusst geschaffene weitere Persönlichkeiten eine weitere Bedeutung angenommen hat.

"Soulbond" ist ein damit eng verwandter Begriff, der sich eher auf literarische Figuren bezieht, die im Kopf von Schriftsteller*innen allmählich ein Eigenleben entwickeln, und eine eigene Perspektive auf die Welt, mit der sich dann die Rolle, die sie als Soulbonds einnehmen, stark von der unterscheiden kann von der, die sie in der Fiktion, der sie entstammen, hatten.

Sowohl Tulpas als auch Soulbonds können natürlich prinzipiell jedes Geschlecht, jede Orientierung (und auch natürlich nicht notwendigerweise menschlich) sein. Ob es dadurch möglich ist, durch deren Einfluss allmählich eine veränderte Geschlechtsidentität oder Orientierung zu haben, ist natürlich auch wieder umstritten und heikel (da es unter Umständen als Legitimation von "Gay-Conversion-Therapy" gelesen werden könnte, oder als Invalidisierung der Identität von LGBTQIA-Personen).

Meinem Eindruck nach (die ich mich vor einigen Jahren etwas mehr damit beschäftigt habe) sind in Tulpa/Soulbond-Communities trans Personen etwas überrepräsentiert, allerdings ist dort die Frage, was Trans-Sein für ein System bedeutet, oft unklarer. Etwa, was es z.B. für eine cis Person bedeutet, sich über viele Jahrzehnte den Kopf mit einer recht selbstständigen Person eines anderen Geschlechts zu teilen - und ob dann der Begriff "bigender" dafür passend ist.


~ ẞ ~


Ich ziehe hier vorerst einen Schlussstrich.

Es lassen sich noch viele Themen aufzählen, die ich ausgelassen habe: Rassismus bzw. Erfahrungen von People of Color, Erfahrungen von autistischen Menschen, gehörlosen Menschen, von Menschen mit Behinderungen, mit Migrationshintergrund, in Armut, ...

Es gibt eine Unzahl von Überschneidungen, und die Erfahrungen, die Menschen machen, die in mehr als einer Hinsicht nicht der Norm entsprechen (oder der Mehrheitsgesellschaft), können sich drastisch von denen unterscheiden, die "nur" queer sind. Und die meisten Communities orientieren sich auch innerhalb einer Minderheit wieder an der Mehrheit. Das gilt auch für meinen Blog hier, der sich nur an Leute richtet, die mit meiner Art zu schreiben klarkommen. Und ich wüsste ehrlich gesagt nicht, ob Vorleseprogramme für blinde Menschen z.B. hier funktionieren. Oder was sie aus den ganzen scharfen ẞ machen, die ich als ästhetische Trennzeichen einstreue...

Ich denke, es ist meinen Posts anzumerken, dass ich von manchen Themen deutlich weniger Ahnung habe - daher hier nochmal der Hinweis, dass ich gerne noch etwas mehr einbauen kann oder Korrekturen machen, wenn jemand da Bedarf sieht. :-)

~ Jundurg Delphimė

Montag, 29. Oktober 2018

(Link) Passing; Flint-Toiletten

CN: Transfeindlichkeit

Ich nutze den Blog mal, um externe Videos zu empfehlen:



Passing ist für mich als nichtbinäre Person sowieso irgendwie unmöglich. Zumindest nach außen - für mich selbst werde ich hoffentlich mal einen Look finden, der einigermaßen mir entspricht - oder mehrere. Ich bin nicht besonders feminin, aber an manchen Tagen habe ich ein wenig mehr Bedürfnis danach, mich femininer zu kleiden. Ich glaube, das hat aber weniger damit zu tun, dass ich ein inhärentes Femininsein in mir hätte, sondern hauptsächlich damit, dass ich eine Haltung von defiance nach außen zeigen möchte: "Liebe binäre Gesellschaft, ich lebe und ich existiere, schert euch fort mit eurem Spott und eurer Engstirnigkeit."

Kleidung hilft natürlich auch dabei, dass ich mir nicht ständig Gedanken machen muss, dass Menschen mich ansehen und glauben, ich wäre ein cis-hetero Mann. Leider scheinen die meisten dann zum Schluss zu kommen, dass ich wohl schwul wäre. Oder für sie ist dann eh alles das gleiche - irgendwie pervers halt? Mir egal, ich hasse es tatsächlich noch viel mehr, versteckt zu sein. Wenn ich mich verstecken muss, dann haben die Konservativen schon gewonnen. Diesen Sieg will ich ihnen nicht geben.

Aber vielleicht geht es mir auch einfach so, wie den meisten anderen Menschen auch, dass sie eben hin und wieder Lust auf diesen oder jenen Stil haben. Es ist ja nicht so, als ob cis Frauen im Alltag die ganze Zeit mit Rock herumlaufen würden. Manche sogar nie. Und manche nur für nen bestimmten Anlass, einem bestimmten Wetter oder in einer bestimmten Stimmung.

~

Passing... und das ewige Problem der Toiletten. Bis jetzt habe ich das weitgehend ignoriert; es ist nicht so, dass ich mich auf Männertoiletten nicht sicher fühlen würde. Aber wenn mein Aussehen mal noch ambivalenter wird, dann mache ich mir Sorgen. Und wohl fühlen tu ich mich jetzt schon oft nicht mehr.

Eine Veranstaltung, auf der ich letztes Wochenende war, hatte die zwei vorhandenen binären Toiletten einfach umfunktioniert: Eine FLINT-Toilette, und eine ALL-GENDERS-Toilette. Das hatte ich bis dahin noch nie gesehen, und ich finde es genial.

"FLINT" steht für "Frauen Lesben Inter Non-Binary Trans" - also im Prinzip alle außer cis Männern. Die Beschreibungen überlappen sich, aber es ist ein gut aussprechbares Akronym, das auch klarstellt, dass es sich um einen Schutzraum handelt. Dass die andere Toilette dann "all gender" heißt, und nicht einfach nur komplementär, also für cis Männer, gedacht ist, ist ebenfalls sehr schlau - erstens ist niemand gezwungen, sich zu outen, der das nicht möchte, und zweitens gibt es eine Ausweichmöglichkeit, wenn in der FLINT-Toilette eine lange Schlange steht.

~

Ich möchte öfter kurze Blogbeiträge mit Links machen, das genaue Format muss ich aber erst etablieren. Im Prinzip bin ich auch offen für Fragen der Art "schreib mal was zu ..." - in einem gewissen Rahmen, natürlich.

Freitag, 21. September 2018

LGBTQIA+ Begriffsdschungel - Teil 2: Orientierungen und Attraktionen

Im zweiten Teil meiner kleinen Odyssee durch die LGBTQIA-Begriffswelt geht es zunächst um sexuelle Orientierungen - also das, woran die meisten Leute als erstes denken, wenn sie eine Regenbogenfahne sehen - aber tatsächlich geht es eben nicht hauptsächlich um Sex, und daher weite ich das Thema aus auf alles, was mit Orientierungen zu tun hat, und möchte auch auf die verschiedenen Arten von Attraktion eingehen.

Es gibt innerhalb der Communities viele Diskussionen über Begriffe und wie sich unsere gelebten Erfahrungen am besten durch diese beschreiben lassen. Ich erwarte, dass es im Verlauf der Jahre noch eine Menge Veränderungen geben wird - ebenso werde ich selbst noch vieles dazulernen. Ich kann hier also nur erklären, wie ich die Dinge jetzt, im Herbst 2018 verstehe, und werde zweifellos vieles später revidieren. :-)

Es versteht sich von selbst, dass alle Definitionen hier in erster Linie mal von mir sind. Ich spreche aber natürlich nicht für die, welche diese Begriffe für sich verwenden. Im Zweifelsfall ist es IMMER besser, Personen selbst zu fragen, wie sie ihre Identität verstehen.

Ich versuche, meine Definitionen nach bestem Gewissen so zu formulieren, dass die allermeisten Leute, die sie nutzen, sich darin wiederfinden. Natürlich wird das nicht in jedem Fall funktionieren.

~ ẞ ~


Inhalt von Teil 2:

A - Die Grundlagen
B - Sexuelle Orientierungen
C - Verschiedene Arten von Attraktion
D - Romantische Orientierungen
E - Weitere Begriffe

~ ẞ ~

Teil 2: Orientierungen und Attraktionen

(Content Note: Diverse Ausgrenzungen)

A. Die Grundlagen


Homosexuell, bisexuell, asexuell - das sind die Orientierungen, die direkt im Kürzel LGBTQIA+ drinstecken, und sie bilden die Basis, von der aus weiter differenziert werden kann. Bevor ich aber die einzelnen sexuellen Orientierungen durchgehe, gilt es zunächst eine Unterscheidung zu machen.

Meist reden wir über sexuelle Orientierungen, doch es geht ja nicht nur um Sexualität. Deswegen wird von dieser die romantische Orientierung separat aufgeführt, denn auch wenn diese bei den meisten Menschen zusammenfallen, ist das nicht immer so. Neben sexuellen und romantischen werden auch noch andere Arten von Orientierungen diskutiert, dazu komme ich aber später.

Ich werde im nächsten Abschnitt mich einmal auf die Begriffe der sexuellen Orientierungen konzentrieren. Aber es scheint mir nützlich, bereits vorher zu sagen, dass praktisch alle davon auch ein analoges Gegenstück aus den romantischen Orientierungen haben. Zum Beispiel:

heterosexuell - heteroromanisch
asexuell - aromantisch
...
usw.

B. Sexuelle Orientierungen


Sexuelle Orientierungen beziehen sich auf sexuelle Anziehung, allerdings werden die Begriffe auch fast immer als Überbegriff verstanden, der andere Arten von Attraktion miteinschließt.

* heterosexuell (straight)

Heterosexuelle Menschen erleben sexuelle Anziehung zu Menschen eines gegensätzlichen, d.h. vom eigenen deutlich verschiedenen Geschlechts.

Alltagsdefinition: Heterosexuell sind Männer, die sich zu Frauen, und Frauen, die sich zu Männern hingezogen fühlen.

* asexuell (ace)

Asexualität wird als Überbegriff verwendet für die Abwesenheit oder teilweise Abwesenheit von sexueller Anziehung. Asexuelle Menschen (im engsten Sinn) erleben keine sexuelle Attraktion zu Menschen irgendeines Geschlechtes. Im weiteren Sinne gehören zu Asexualität aber auch die verschiedenen Graubereiche, graysexual und demisexual.

Asexualität hat nichts mit mangelnder Libido oder Enthaltsamkeit zu tun. Manche Asexuelle empfinden Sex als abstoßend, und wollen damit nichts zu tun haben - manche haben lediglich kein Bedürfnis danach, aber haben kein Problem damit, mit Partner*innen Sex zu haben.

Zur Veranschaulichung sage ich mal: Asexuelle fühlen sich zu Menschen des eigenen Geschlechtes ebensowenig hingezogen wie Heterosexuelle, sowie zu Menschen eines gegensätzlichen Geschlechtes ebensowenig wie Homosexuelle.

* allosexuell

Der Gegenbegriff zu Asexualität heißt Allosexualität - darunter fallen die meisten anderen sexuellen Orientierungen. Als eigener Begriff ist es außerhalb von Ace-Communities selten anzutreffen, aber es ist wichtig, einen Gegenbegriff zu haben, um die Norm als solche in Frage stellen zu können. (Ganz ähnlich dem Begriff "cisgender" bei den Geschlechtern)

* homosexuell (schwul, lesbisch, gay)

Homosexuell sind Menschen, die sexuelle Anziehung zu Menschen ihres eigenen oder eines sehr ähnlichen Geschlechtes erleben.

* bisexuell / bi*sexuell / bi

Definition 1: Bisexuelle Menschen erleben sexuelle Anziehung zu Menschen mindestens zweier (deutlich) verschiedener Geschlechter.

z.B. zu Personen eines ähnlichen (oder dem eigenen) Geschlechtes und Personen eines davon verschiedenen.

Definition 2: Bisexualität ist sexuelle Attraktion, die als straight gelesen wird, und sexuelle Attraktion, die als queer gelesen wird. Bisexuelle Menschen bewegen sich deswegen gewissermaßen zwischen zwei Welten.

Definition der einflussreichen Bi-Aktivistin Robyn Ochs: "I call myself bisexual because I acknowledge that I have in myself the potential to be attracted – romantically and/or sexually – to people of more than one sex and/or gender, not necessarily at the same time, not necessarily in the same way, and not necessarily to the same degree."

Keine der Definitionen ist durch Gewichtung eingeschränkt, d.h. eine Person die sich hauptsächlich zu einem Geschlecht hingezogen fühlt, aber eben auch zu einem davon verschiedenen, ist auch bisexuell, sofern sie diese Eigenbezeichnung nicht unpassend findet und ablehnt. (Siehe: heteroflexibel/homoflexibel)

Die Schreibweise "bi*sexuell" deutet darauf hin, dass es sich um einen Oberbegriff handelt, der sowohl andere (nicht-sexuelle) Formen der Attraktion als auch andere Selbstbezeichnungen (wie z.B. pansexuell) einschließt.

* polysexuell

Polysexualität ist eine Untermenge von Bisexualität. Polysexuelle Menschen betonen ihre Anziehung zu vielen, aber nicht allen Geschlechtern.

* pansexuell (selten auch: omnisexuell)

Eine Untermenge von Bisexualität und Polysexualität. Pansexuelle Menschen erleben sexuelle Anziehung zu Menschen aller Geschlechter; oft wird es auch formuliert als Attraktion bei der das Geschlecht keine Rolle spielt.

* heteroflexibel / homoflexibel

Viele Menschen finden sich in einer Grauzone zwischen Bisexualität und Hetero-/Homosexualität wieder. Menschen, die sich im Wesentlichen als homosexuell bezeichnen, aber selten auch Attraktion zu Menschen eines anderen Geschlecht erleben, manchmal auch nur einmal im Leben, können das als homoflexibel benennen.

Hetero-/Homoflexible Menschen können sich selbst als heterosexuell, bi*sexuell oder homosexuell verstehen, und diesen Begriff als zusätzliche Ergänzung verwenden.

* monosexuell

Monosexuell sind Menschen, die sexuelle Anziehung zu Menschen nur eines Geschlechtes erleben. Die Bezeichnung entstand primär als Gegenbegriff zu "bisexuell", um also heterosexuelle und homosexuelle Menschen zusammenzufassen, kommt also aus dem Bi-Aktivismus. Dort wird auch das Gegenstück "non-monosexuell" verwendet. Per Definition sind aber auch viele asexuelle Menschen nicht monosexuell, da sie sich zu gar keinem Geschlecht hingezogen fühlen, weswegen der Begriff "non-monosexuell" im wörtlichen Sinn nicht synonym mit "bisexuell" sein kann.

* gynesexuell / finsexuell (gynesexual, finsexual)
* androsexuell / minsexuell (androsexual, minsexual)
* skoliosexuell / ninsexuell (skoliosexual, ninsexual)

Für nichtbinäre Menschen macht es oft keinen Sinn, sich darüber zu definieren, ob sie sich zu gleichartigen oder anderen Geschlechtern hingezogen fühlen - wenn das eigene Geschlecht undefiniert ist, oder außerhalb der gängigen Begriffe, sind ja alle anders oder vielleicht auch alle ähnlich.

Daher gibt es noch eine Reihe weiterer Begriffe. "Gynesexuell" bezieht sich auf die Anziehung zu Frauen; einige trans Personen mögen den Begriff aber nicht, weil sie ihn mit Gynäkologie assoziieren, und einer stark auf bestimmte Körperteile fokussierte Sicht.

Analog gibt es "androsexuell" als sexuelle Anziehung zu Männern oder männlichen Geschlechtern, sowie "skoliosexuell" als Anziehung spezifisch zu nichtbinären Menschen. Letzterer Begriff ist auch nicht durchwegs beliebt, da er sich von "skolio" ableitet, also gekrümmt (wie im medizinischen Begriff "Skoliose".

Als alternative Begriffe wurden minsexuell, ninsexuell und finsexuell vorgeschlagen. Die ersten drei Buchstaben davon bedeuten "masculine in nature", "non-binary in nature" und "feminine in nature" respektive.

Die ebenfalls (in etwa) gleichbedeutenden Begriffe "Androphilie" und "Gynekophilie" scheinen im LGBTQIA+ Kontext noch etwas weniger verbreitet zu sein, bzw. eher aus der Psychologie zu kommen - sind demnach also  primär Fremdbezeichnungen.

* graysexual (gray ace, grace, graysexuell, grau-sexuell)

Graysexualität ist eine Unterkategorie von Asexualität; graysexuelle Menschen sind solche, die nur selten, nur schwache oder nur unter sehr spezifischen Bedingungen sexuelle Anziehung zu anderen Menschen erleben. Es geht somit um eine Grauzone zwischen asexuell und allosexuell, wobei sich das Erleben doch schon so weit von dem allosexueller Menschen unterscheidet, dass eine Abgrenzung dazu als notwendig oder nützlich angesehen wird.

Die hiermit aufgespannte Grauzone umfasst eine Vielzahl von weiteren Begriffen, die ich hier nicht alle aufzählen kann, da manche davon erst in den letzten Jahren vorgeschlagen wurden und nicht abzusehen ist, welche davon sich etablieren werden.

Graysexualität kann mit anderen Orientierungen kombiniert werden, also z.B. "gray-pansexuell".

* demisexuell (demisexual)

Demisexualität bezeichnet sexuelle Attraktion, die nur aufkommt, wenn bereits eine starke zwischenmenschliche Beziehung aufgebaut wurde. Demisexuelle Menschen erleben also sexuelle Attraktion zu Menschen, die ihnen sehr nahe stehen, aber zu sonst niemanden.

Dies sollte nicht mit der weit verbreiteten Haltung verwechselt werden, nur mit sehr vertrauten anderen Menschen sexuelle Handlungen unternehmen zu möchten - es geht um die Anziehung selbst! Demisexuelle Menschen haben also viele Erfahrungen mit Asexuellen (im engeren Sinn) gemeinsam, da sie vor einer Beziehung z.B. nicht wissen, ob sie auch sexuelles Interesse an der anderen Person entwickeln werden.

Der Begriff "demisexuell" ist neben "graysexuell" einer der etabliertesten aus dem asexuellen Spektrum. Demisexualität kann mit anderen Begriffen kombiniert werden, z.B. "demi-homosexuell".

* fraysexual (fraysexuell)

Fraysexuelle Menschen erleben sexuelle Attraktion nur zu Fremden; sobald sie jemanden näher kennenlernen, verschwindet diese. Es ist somit in gewissem Sinn das Gegenteil von "demisexuell".

* aegosexuell (aegosexual, autochorissexual)

Der Begriff leitet sich ab von a-ego, hieße demnach also etwa "nichtselbstsexuell". Aegosexuelle Menschen finden andere Menschen zwar in gewissem Sinne sexuell anziehend, dies bleibt jedoch auf einer distanzierten Ebene; möglicherweise sind es nur fiktive Personen, Phantasien oder Bilder, die anziehend wirken, und keine echten Menschen bzw. Körper.

C. Verschiedene Arten von Attraktion


Vor allem aus der Erfahrung von asexuellen Personen, die dennoch romantische Gefühle entwickeln, ergab sich die Notwendigkeit, Unterscheidungen zu machen - in der Folge hat sich das Theoriegebilde weiter aufgespalten und umfasst nun eine ganze Reihe von Attraktionen. Auch wenn es sich im Zuge des Modells von "Split Attraction" getrennt auflisten lässt, ist es für viele Individuen schwer, ihr eigenes Erleben in diesen Kategorien einzuordnen.

* Sexuelle Attraktion

Andere Menschen sexuell anziehend finden.

* Romantische Attraktion

Andere Menschen auf eine Weise anziehend finden, die den Wunsch erzeugt, mit ihnen eine romantische Beziehung (Liebesbeziehung) einzugehen.

* Sensual Attraction (spontan übersetzt: Sinnliche Attraktion? Sensuelle Attraktion?)

Sich zu anderen Menschen auf eine Weise hingezogen ist, die nicht sexuell, wohl aber sinnlich ist; zum Beispiel ein starkes Bedürfnis nach Körperkontakt (Tastsinn), aber auch andere Sinne können eine Rolle spielen.

* Platonische Attraktion

Sich zu anderen Menschen freundschaftlich hingezogen fühlen.

* Ästhetische Attraktion

Andere Menschen ästhetisch/hübsch und damit anziehend finden - aber womöglich ohne den Wunsch, der Person sexuell/romantisch oder sonstwie nahe zu sein.

* Crush

Verliebtheit - intensiv erlebte romantische Attraktion zu einer bestimmten Person.

* Squish

Das platonische Äquivalent zum Crush - intensiver Wunsch, mit einer Person (eng) befreundet zu sein.

D. Romantische Orientierungen


Im Prinzip lassen sich zu allen sexuellen Orientierungen, die oben in Teil B aufgelistet sind, analoge romantische Orientierungen bilden, also z.B. panromantisch, heteroromantisch, homoromantisch, usw.

Einige Begriffe werde ich aber hier noch spezifisch anführen.

* aromantisch (aro)

Aromantische Menschen im strengeren Sinn fühlen sich nie zu anderen Menschen romantisch hingezogen. Genau wie bei Asexualität ist aber auch hier ein ganzes Spektrum mitgemeint ("Aro-Spektrum") Viele der Begriffe aus dem asexuellen Spektrum haben ihr aromantisches Gegenstück.

Wenngleich viele aromantische Menschen auch asexuell sind, so fallen diese Orientierungen nicht unbedingt zusammen. Damit kommen neue Vorurteile zustande: Wenn sie an Personen denken, die sexuelles, aber niemals romantisches Interesse an anderen Menschen haben, stellen sich viele vor, dass es sich dann zwangläufig um promiskuitive Leute handelt, die von einem One-Night-Stand zum nächsten eilen und sich nie an andere Menschen binden.

Die Abwesenheit von einer romantischen Beziehungen heißt aber nicht, dass es nicht andere dauerhafte zwischenmenschliche Bindungen geben kann.

Ein gebräuchliches Symbol der Aro-Community ist der Pfeil (arrow).

* demiromantisch (demiromantic)

Analog zu demisexuell - romantische Gefühle kommen erst auf, wenn eine enge Beziehung (z.B. Freundschaft) bereits aufgebaut wurde.

* frayromantisch (frayromantic)

Analog zu fraysexuell - romantische Gefühle tauchen vor allem gegenüber fremden Personen auf, verschwinden aber bald, sobald eine Person näher bekannt wird.

* quoiromantisch (WTFromantisch)

Dieser Begriff bezeichnet Menschen, die von sich nicht sagen können, ob sie romantische Attraktion erleben, oder sich eher platonisch (freundschaftlich) zu anderen Menschen hingezogen fühlen.

* grayromantisch (grauromantisch)

Wiederum analog zu graysexuell - Personen, die nur sehr selten, sehr schwach oder nur unter spezifischen Bedingungen romantische Attraktion erleben, können die Bezeichnung grayromantisch für sich passend finden.

E. Weitere Begriffe


 * queer

Manche Menschen (wie ich) lieben es, Begriffe kennenzulernen und die vielen individuellen Erfahrungen von Menschen, die sie verwenden, miteinander zu vergleichen. Für andere ist das jedoch uninteressant, oder sie finden es mühsam, sich selbst mit einer komplexen Reihung von Begriffen zu bezeichnen ( "Hallo, ich bin grey-polysexuell und quoi-homoromantisch..." ). Das kann ein Grund für Menschen sein, sich hauptsächlich als "queer" zu bezeichnen, wenn sie nach ihrer Orientierung gefragt werden.

Für andere ist es ein politischer Begriff, um sich selbst außerhalb der Norm zu positionieren (und diese Norm, oder die Ungleichbehandlung, die zwischen Menschen innerhalb und außerhalb dieser Norm besteht, zu kritisieren.)

Und - wie schon bei den Geschlechtern erwähnt - ist "queer" einer der gebräuchlisten Überbegriffe für die gesamte LGBTQIA+ Community, eben als Queer Community. Da es ursprünglich ein Schimpfwort war, finden sich im englischen Sprachraum auch noch (vor allem ältere) Menschen, die sich nicht so bezeichnen wollen, hier ist also etwas Feingefühl angebracht.

Ich spreche zwar selbst oft von der "Queer Community", wenn ich aber mit Leuten zu tun habe, bei denen ich mir nicht so sicher bin, wie sie mich verstehen, sage/schreibe ich LGBTQIA+. Warum? Weil es eine Menge Spaltungen gibt, und viele Gruppen sich gegenseitig ausschließen wollen. Am stärksten betroffen sind davon derzeit asexuelle und aromantische Menschen, was noch dadurch verstärkt wird, dass viele, auch z.B. queere Vereine, das "A" als "Allies" lesen, d.h. Verbündete. Das führt das Kürzel LGBTQIA+ allerdings ad absurdum, denn damit würden Menschen, die selbst nicht von diesen Arten von Diskriminierung betroffen sind, plötzlich zu den anderen dazugepackt, und "LGBTQIA+" ist plötzlich nicht mehr synonym mit "queer".

* fluid (fluide)

Dieser Begriff kann sich auf sexuelle oder andere Orientierungen beziehen, und drückt aus, dass sich die Orientierung einer Person im Laufe des Lebens öfter ändert; das kann sich ebenso auf kurze Zeitabstände beziehen wie auf ein gesamtes Leben.

Für sehr viele Menschen ist die Orientierung etwas statisches; für den politischen Aktivismus ist dieser Umstand oft wichtig zu betonen ("wir sind schon so geboren, ihr könnt uns nicht zwangstherapieren"). Nichtsdestotrotz gibt es aber eben auch Menschen, für die das nicht so sehr gilt.

Menschen, die sich im Bezug auf sexuelle Orientierung fluide erleben, finden sich aber meistens auch in Begriffen wie "bisexuell" oder "pansexuell" wieder.

* aceflux

Fluidität bzw. Veränderlichkeit in Bezug auf das asexuelle Spektrum. Aceflux Menschen könnten zum Beispiel erleben, eine längere Zeit keinerlei sexuelle Attraktion zu haben, dann aber schon wieder. Aceflux ist damit eine Unterkategorie von gray-romantisch.

* queerplatonisch (queerplatonic, quasiplatonic)

Queerplatonisch ist eine Bezeichnung für eine Beziehungsform, bei der Menschen eine enge Bindung zueinander haben und ähnlich viel Zeit darin stecken wie andere in eine romantische Liebesbeziehung - aber es dennoch auf einer freundschaftlichen Basis passiert.

Nur weil eine Person asexuell und aromantisch ist, heißt das nicht, dass es überhaupt kein Bedürfnis nach emotionaler Bindung gibt, das z.B. in einer Art Partnerschaft erfüllt werden könnte.

* cupioromantisch (cupioromantic)

Eine Bezeichnung für aromantische Menschen, die ein Bedürfnis haben, in einer Beziehung zu leben, obwohl sie sich nicht zu anderen romantisch hingezogen fühlen.

* sex-repulsed

Nicht alle asexuellen Menschen finden Sex an sich unangenehm, "sex-repulsed" bezeichnet diejenigen, die am liebsten niemals irgendeine Form von sexuellen Kontakt wünschen.

* romance-repulsed

Analog zu sex-repulsed: aromantische Menschen, die allein die Idee einer romantischen Beziehung bereits unangenehm empfinden.

* pan-cake

Innerhalb von Ace-Communities hat sich Kuchen (cake) als ein Symbol für Asexualität entwickelt, aus Sprüchen wie "Wer braucht schon Sex, wenn er*sie Kuchen hat!". Panromantische Asexuelle haben daraus das Wortspiel pan-cake als Eigenbezeichnung gemacht.

~ ẞ ~

Mittwoch, 18. Juli 2018

LGBTQIA+ Begriffsdschungel - Teil 1: Geschlechter, Geschlechtsidentität

Mit diesem Projekt möchte ich eine kleine Runde durch die aktuellen Begriffe aus den LGBTQIA+ Bewegungen drehen, und dabei hoffentlich die wichtigsten abdecken. Mir selbst geht es immer noch öfter mal so, dass ich plötzlich noch über einen Begriff stolpere, den ich noch nie gehört habe, obwohl ich schon jahrelang Diskussionen mitverfolge. Ich weiß nicht so genau, wer meine Zielgruppe für diese kleine Serie ist - aber vielleicht stolpert auch die Leser*in jetzt wieder über irgendetwas neues. Oder er*sie stolpert, weil ich irgendwo einen totalen Mist geschrieben habe, kann auch sein. ;-)

Mindestens so sehr wie für andere schreibe ich das ganze aber auch für mich selbst - ich dokumentiere sozusagen meinen derzeitigen Wissensstand. Bestimmt wird sich einiges in den nächsten Jahren wieder ändern. Sowohl von meinen Ansichten, als auch bei den Begriffen selbst. Viel ist derzeit im Wandel, da sich über das Internet so viele Menschen über Themen wie Geschlechtsidentitäten und Orientierungen austauschen können wie nie zuvor.

Bitte beachtet: Dies ist ein persönlicher Versuch, eine Übersicht zu erstellen, kein "offizielles" Wörterbuch. Ich kann nicht beanspruchen, für andere Menschen zu sprechen, auch wenn ich mich noch so sehr bemühe, so zu schreiben, dass die Meinung eines breiten Konsens widergespiegelt wird, und nicht nur meine isolierte Einzelmeinung. ;-) Wenn jemandem etwas aufstößt, bin ich prinzipiell offen für Kritik, möchte hier aber nicht endlos Energie hineinstecken und werde daher keine langwierigen Diskussionen anfangen - sinnvolle Änderungen vornehmen geht aber natürlich.

Der erste Teil behandelt Geschlechter, Geschlechtsidentität und eine Reihe von Begriffen rund um das Thema.
Der zweite Teil wird sich um sexuelle und andere Orientierungen drehen.
Im dritten Teil werde ich dann noch versuchen, Offengebliebenes zu sammeln. Bis hierhin habe ich ehrlich gesagt noch nicht so genau geplant. ;-)

~ ẞ ~

TEIL 1: Geschlechter, Geschlechtsidentität

( CONTENT NOTE für Pathologisierung von Körpern im Abschnitt A, und Transphobie im Abschnitt C, da es dort dann auch um problematische Begriffe, usw. geht. )

A. Grundbegriffe


* Geschlecht

(Versuch einer Definition) Das Geschlecht einer Person ist eine komplexe Eigenschaft mit vielen Teilaspekten. Im Zentrum steht die Geschlechtsidentität, mit der dann bestimmte Vorstellungen darüber, wie eine Person eines bestimmten Geschlechts aussehen soll oder wie sie sich verhalten soll, verknüpft werden können.

Es hält sich hartnäckig die Vorstellung, dass sich Geschlecht im Wesentlichen auf eine biologische Zweigeschlechtlichkeit zu Fortpflanzungszwecken reduzieren lässt. Dies ist eine sehr westliche Vorstellung; in anderen Kulturen gab und gibt es eine Vielzahl anderer Konzepte. Selbst das Judentum hatte ursprünglich ein System mit deutlich mehr als 2 Geschlechtern.

In westlichen Ländern wird das Geschlecht bei der Geburt zugewiesen - dabei wird auch ein Lineal namens Phallometer eingesetzt, mit dem das Genital des Babies vermessen wird: Ab einer bestimmten Länge "männlich", unter einer bestimmten Länge "weiblich", und dazwischen "intersex" - wobei letzteres leider dann oft als Fehler angesehen wird, der von den Ärzt*innen korrigiert werden "muss". Dabei handelt es sich um schwere Kindesmisshandlung, da dieser Eingriff keinen medizinischen Nutzen erfüllt, außer eben, der Norm zu entsprechen. Das Baby kann klarerweise keine Zustimmung geben, und in vielen Fällen werden noch nicht einmal die Eltern ausreichend informiert.

Wie genau sich die Geschlechtsidentität einer Person bildet, ist unklar. Es scheint mir plausibel, dass eine große Anzahl von Faktoren mitspielt - darunter biologische, kulturelle, und vielleicht auch Prägungen. Jeder einzelne Faktor ist Gegenstand von Diskussionen - es scheint mir aber auf jeden Fall unklug, Geschlecht auf nur eine Komponente zu reduzieren (etwa zu behaupten, es wäre nur Kultur, oder nur Biologie, oder nur Erziehung).

* gender

Der Begriff wurde meines Wissens ursprünglich geschaffen, um zwischen biologischen Körpereigenheiten und sozialen Aspekten zu unterscheiden, insbesondere den Geschlechterrollen - mit dem Ziel, die Ungleichbehandlung, die Menschen verschiedener Geschlechter erfahren, zu thematisieren.

Damit kann beispielsweise sichtbar gemacht werden, dass es nicht die Körper sind, die zu einer bestimmten sozialen Ordnung führen - zum Beispiel, dass es nicht natürlich vorgegeben ist, dass genau zwei Menschen mit bestimmten körperlichen Eigenschaften in einer Partnerschaft zusammenleben müssten, nur weil für die Zeugung eines Kindes eine Eizelle und eine Samenzelle notwendig sind.

Soweit ich sehe, wird der Begriff gender heute meist synonym zu Geschlechtsidentität bzw. Geschlecht verwendet.

* cisgender (cis)

Eine Person ist cisgender, wenn ihr Geschlecht mit dem bei der Geburt zugewiesenen übereinstimmt. Dies trifft auf einen Großteil der Weltbevölkerung zu. "Cisgender" ist ein Adjektiv, es gibt also nicht "einen Cisgender", sondern "eine cisgender Person", oder z.B. "einen cis Mann".

Der Begriff wurde eingeführt, um einen Gegenbegriff zu "trans" zu haben, sodass nicht mehr eine Unterscheidung zwischen "trans" und "normal" gemacht wird - sondern beides normal ist.

* binäre Geschlechter (binary genders)

Die beiden Geschlechter "Mann" und "Frau", die gemäß der in der westlichen Welt weitverbreiteten Überzeugung die einzigen seien. Ein binärer Mann ist jemand, dessen Geschlechtsidentität eindeutig und ausschließlich männlich ist, unabhängig davon, ob dieses Geschlecht bei der Geburt zugewiesen wurde oder nicht.

* transgender (trans)

Eine Person ist transgender, wenn ihr Geschlecht nicht oder nicht ausschließlich mit dem bei der Geburt zugewiesenen übereinstimmt. Der Begriff umfasst ein weites Spektrum von Geschlechtern.

"Transgender" ist ein Adjektiv, es gibt also nicht "einen Transgender", sondern "eine trans(gender) Person". Allerdings wird das Wort leider selbst noch in Vereinen von trans Personen oft als Hauptwort verwendet - wenn dies eine Person für sich selbst so handhaben möchte, ist das natürlich möglich, sollte aber nicht ungefragt auf andere oder die Allgemeinheit übertragen werden. Im deutschsprachigen Raum gibt es generell nur sehr selten Artikel, die einen guten Umgang mit der Sprache bezogen auf trans Personen hinbekommen.

In den Neunzigern und frühen Nullerjahren war der Begriff noch weiter gefasst und bezog auch Menschen ein, die sich außerhalb der Geschlechternorm verhalten, sich anders kleiden (z.B. Drag-Queens, Drag-Kings). Diese Definition ist weitgehend außer Gebrauch geraten.

Das "T" in LGBTQIA+ steht für trans.

* nichtbinär (non-binary)

Eine Person ist nichtbinär, wenn deren Geschlecht nicht eines der beiden binären Geschlechter ist. Es gibt eine große Zahl an nichtbinären Geschlechtsidentitäten, der Begriff alleine ist also zunächst einmal ein Sammelbegriff, der noch nicht unbedingt viel aussagen muss. Es gibt aber auch Menschen, die sich einfach nur als 'nichtbinär' bezeichnen und eine genauere Bestimmung für unnötig befinden.

* intergeschlechtlich (inter, intersex)

Eine Person ist intergeschlechtlich, wenn sie aufgrund körperlicher Merkmale nicht eindeutig in das Schema männlich/weiblich einsortiert werden könnte. Bei vielen intergeschlechtlichen Menschen fällt das erst im Verlauf der Pubertät auf, während es bei anderen schon nach der Geburt festgestellt wird. Viele Menschen erfahren nie davon, wenn z.B. andere Chromosomen vorliegen, die sich aber nicht phänotypisch auswirken.

Intergeschlechtliche Menschen können jede Geschlechtsidentität haben - viele fühlen sich auch mit dem nach der Geburt zugewiesenen binären Geschlecht wohl - es gibt aber auch Menschen, die "inter" für sich als Geschlechtsidentität verwenden. Manche intergeschlechtliche Menschen sind also auch trans, aber nicht alle.

Das "I" in LGBTQIA+ steht für intergeschlechtlich.

Der Gegenbegriff zu "inter" ist "dyadisch".

B. Spezifische Geschlechtsidentitäten


Ich beschreibe alle Begriffe so, wie ich sie derzeit sehe - was hoffentlich meist dem entspricht, wie es Leute sehen, die sie für sich selbst verwenden. Natürlich kann ich aber nicht für andere Menschen sprechen, und was ich hier schreibe, sollte auf keinen Fall als letztgültig angesehen werden, sondern einen Einstieg. Im Umgang mit einzelnen Menschen ist es besser, nachzufragen, wie diese sich selbst oder einen Begriff verstehen. Im Alltag reicht es aber normalerweise, nach der richtigen Anrede - Namen und Pronomen - zu fragen.

* genderqueer

Der Begriff "genderqueer" wird auf einige verschiedene Weisen verwendet.

Einerseits als Überbegriff für nichtbinäre Identitäten - d.h. synonym zu "nichtbinär" - andererseits aber auch als spezifische Geschlechtsidentität, die z.B. für ein "drittes Geschlecht" stehen kann, das nicht so genau definiert sein muss, aber enger gefasst als "nichtbinär", d.h. z.B. wechselnde Identitäten ausschließt. Und schließlich wird "genderqueer" - wie auch "queer", von dem es sich ableitet - auch als verstärkt politisch verstanden, als ein bewusstes den Normen Dagegenstellen. So verstanden heißt genderqueer zu sein, nicht nur, sich außerhalb der zweigeschlechtlichen Norm zu befinden, sondern das auch sichtbar in die Öffentlichkeit tragen zu wollen.

Die Definitionen sind heute etwas unklar. Es gibt auch Menschen, die sich als genderqueer identifizieren, aber nicht als nichtbinär, manche sogar explizit als cisgender; manchmal überwiegt der Bezug zu einer politischen Identität, manchmal ist es mehr eine Selbstbeschreibung.

* agender (ähnlich auch: gendervoid)

Eine Person ist agender, wenn sie sich mit keiner Geschlechtsidentität identifiziert, oder schlicht gesagt kein Geschlecht hat. Typischerweise verstehen sich agender Menschen nicht irgendwo "zwischen männlich und weiblich", sondern komplett abseits der binären Geschlechter.

* demigirl (demiweiblich), demiboy (demimännlich)

Eine demiweibliche Person versteht sich als eher weiblich, aber nicht als binäre Frau. Im Englischen ist vor allem der Begriff "demigirl" dafür verbreitet; "demiwoman" habe ich hingegen noch fast nie gelesen. Analog dazu ist ein Demiboy eine Person, die sich als eher männlich versteht.

Diese Bezeichnungen sind unabhängig davon, welches Geschlecht einer Person bei der Geburt zugewiesen wurde - es kann also eine weiblich zugewiesene Person demimännlich oder demiweiblich sein.

* genderfluid

Genderfluide Menschen haben keine feste Geschlechtsidentität, sondern erleben einen mehr oder weniger häufigen Wechsel zwischen verschiedenen Geschlechtern. Das können sowohl binäre als auch nichtbinäre sein. Das Geschlecht kann z.B. von Tag zu Tag unterschiedlich erlebt werden, oder auch nur langsam im Verlauf von Monaten oder Jahren wechseln.

Manche genderfluide Menschen wechseln auch ihre Anrede und Pronomen regelmäßig. Sowohl körperliche als auch soziale Transition gestalten sich naheliegenderweise kompliziert.

* bigender

Menschen, die bigender sind, erleben sich als (mehr oder weniger) gleichzeitig mehreren Geschlechtern zugehörig. Der Begriff kann sich mit "genderfluid" überlappen, kann aber auch eine Mischidentität meinen, die für sich genommen konstant bleibt.

Analog wird für drei Geschlechter der Begriff 'trigender' verwendet.

Diese Begriffe werden manchmal auch als Selbstbezeichnung eines multiplen Systems (mehrere Personen, die sich einen Körper teilen, wie es z.B. bei einer dissoziativen Identitätsstörung der Fall ist) verwendet, innerhalb dessen es mehrere Personen unterschiedlicher Geschlechter gibt. Es sollte aber niemand annehmen, dass ein Mensch, der sich so bezeichnet, multipel ist.

C. Weitere wichtige Begriffe, veraltete Begriffe, Probleme und Konfliktherde

(CONTENT NOTE für Transphobie, vor allem im unteren Bereich des Abschnittes)

* Transition

Viele, aber nicht alle, trans Menschen streben körperliche oder soziale Veränderungen an. Beispiele für eine soziale Transition sind z.B. ein Wechsel des Geschlechtseintrages in offiziellen Dokumenten (Personenstandsänderung), Verwendung eines anderen Vornamens oder anderer Pronomen im Umgang mit anderen Menschen. Beispiele für körperliche Veränderungen sind z.B. Hormontherapien, Entfernung von Gesichts- oder Körperbehaarung, Entfernung von Brüsten und andere operative Eingriffe.

Wichtig ist, im Auge zu behalten, dass nicht alle Menschen eine Transition machen wollen oder können. Soziale Transition kann je nach Lebenssituation mit großen Risiken verbunden sein, von Ausgrenzung, Schwierigkeiten bei Wohnungs- und Arbeitssuche bis hin zu körperlicher Gewalt, oder - in manchen Ländern - bis hin zur Todesstrafe.

Ebenso gibt es viele medizinische Gründe, aus denen eine körperliche Transition nur schwer, eingeschränkt oder gar nicht möglich sein kann. Viele größere körperliche Eingriffe, gerade Operationen, werden aber auch oft als nicht notwendig fürs eigene Lebensglück angesehen. Eine fremde Person danach zu fragen, ob und welche körperlichen Veränderungen sie vorgenommen hat oder vornehmen möchte, ist extrem unhöflich!

Ob eine transgender Person also eine soziale Transition vornimmt, eine körperliche Transition, weder noch, oder in welchem Ausmaß, hat keinen Einfluss darauf, ob die Person trans ist - das weiß sie selbst am besten.

* Gender-Dysphorie (gender dysphoria)

Dysphorie allgemein meint Unwohlsein mit etwas; Gender-Dysphorie bezeichnet also ein Unwohlsein bezogen auf das eigene Geschlecht oder einen Teilaspekt davon.

Körperliche Dysphorie (body dysphoria) ist am einfachsten zu erklären: Ein Unwohlsein mit Aspekten des eigenen Körpers, etwa Körperteilen (oder deren Abwesenheit), Behaarung, Körpergröße, usw. Um dieser Dysphorie zu entgehen, wird eine körperliche Transition vorgenommen.

Soziale Dysphorie (social dysphoria) bezeichnet ein Unwohlsein damit, wie eine Person von anderen Menschen gesehen wird; also etwa, dass es ihr unangenehm ist, als eine Person eines anderen als ihres richtigen Geschlechtes angesehen zu werden, was sich in Anreden ("Herr XY"), Verwendung von falschen Pronomen ("er ist dort drüben"), Verwendung eines alten Vornamens, usw.

Es gibt noch einige andere Begriffe, mit denen andere Arten von Geschlechtsdysphorie unterschieden werden sollen, etwa "mind dysphoria", für das sich meines Wissens aber keine klare Definition etabliert hat.

Ich würde unter mind dysphoria z.B. ein Unwohlsein mit der eigenen Gedankenwelt verstehen, d.h. dass die eigenen Gedanken sich teilweise im Widerspruch zum Geschlecht befinden - etwa, weil eine Person mit einem bestimmten Geschlecht großgezogen wurde, sich daran angepasst/gewöhnt hat und diese falsche Identität tiefe Spuren hinterlassen hat. Darunter könnte etwa fallen, gelegentlich für sich selbst falsche Pronomen zu verwenden, weil die alte Gewohnheit schwer loszuwerden ist. Wie gesagt ist der Begriff aber wenig etabliert und es gibt vermutlich einige gänzlich andere Definitionen dafür.

Darum, ob Gender-Dysphorie eine notwendige Bedingung dafür ist, dass eine Person trans ist, wird zurzeit heftig gestritten. Das Problem dabei ist, dass Gender-Dysphorie nicht immer leicht zu erkennen ist - etwa wenn ein Unwohlsein erst erkannt wird, nachdem es weg ist - oder nicht konstant auftritt, oder sich durch andere psychische Symptome zeigt, die aber nicht in Zusammenhang mit dem Geschlecht gebracht werden. (Lesetipp: “That was dysphoria?” 8 signs and symptoms of indirect gender dysphoria von Zinnia Jones)

Manche Menschen sagen auch, dass sie zwar keine Gender-Dysphorie erleben, aber Gender-Euphorie, d.h. ein intensives Wohlbefinden, wenn sie öffentlich oder für sich selbst ihr richtiges Geschlecht leben.

Letztlich steht es keiner Person zu, darüber zu entscheiden, ob ein anderer Mensch trans ist, oder nicht - eine Diskussion über Dysphorie sollte also niemals dazu verwendet werden, Personen den Zugang zu Communities oder Ressourcen zu verweigern.

* gender expression

Für diesen Begriff gibt es - so weit ich weiß - keine allgemein etablierte Übersetzung. Passend wäre vielleicht "Geschlechts-Präsentation" oder "Geschlechtsausdruck".

Gender-Expression bezieht sich darauf, wie ein Geschlecht nach außen hin ausgedrückt wird. Da es im Prinzip unendlich viele Möglichkeiten gibt, ein Geschlecht auszudrücken, ist es eigentlich nicht möglich, von der Weise, wie eine Person sich gibt, auf deren Geschlecht zu schließen. Es gibt aber in unserer Kultur gewisse etablierte Vorstellungen davon, welche Eigenschaften vornehmlich zu welchem (hauptsächlich binären) Geschlecht gehören sollen, die dann z.B. mit den Begriffen wie feminin und maskulin beschrieben werden. Damit ist es dann auch möglich, von femininen Männern und maskulinen Frauen zu sprechen - neben vielen anderen Begriffen, die sich auf Gender Expression beziehen. (Weitere z.B. "androgyn", "butch", "femme", ...)

* transfeminin, transmaskulin

Diese Begriffe beschreiben eine Richtung, in die eine Transition gewünscht wird, oder in der die richtige Identität von der zugewiesenen aus liegt. Es gibt auch noch Variationen der Begriffe wie "transweiblich" - manche Menschen machen eine Unterscheidung zwischen weiblich und feminin, oder zwischen männlich und maskulin. Ersteres bezieht sich dann auf das Geschlecht, letzteres auf die Gender-Expression.

* Misgendern, Deadnamen

Als Misgendern wird bezeichnet, wenn für eine Person eine falsche Anrede oder falsche Pronomen verwendet werden. Versehentlich misgendert zu werden ist für viele trans Menschen leider Alltag - was aber noch deutlich schlimmer ist, ist bewusstes Misgendern.

Viele trans Menschen sind über einen langen Zeitraum ihres Lebens durchgängig misgendert worden, und mussten es sich mühsam erkämpfen, dass ihre Identität von ihrem Umfeld anerkannt wird - oft auch, indem Personen, die sich weigern, aus dem Leben verbannt werden; nicht selten sind dies nahe Familienangehörige. Wird also berücksichtigt, dass mit Misgendern oft traumatische Erlebnisse verbunden sind - auch körperliche Gewalt - ist verständlich, warum so viele darauf sehr empfindlich reagieren.

Als "Deadname" wird ein alter Vorname bezeichnet, den eine Person abgelegt hat, weil dieser nicht zu ihrer Geschlechtsidentität passt. Hier gilt das selbe wie für Misgendern - manche Menschen verbinden sehr unangenehme Erfahrungen mit ihrem Deadname; bewusst diesen zu verwenden ist eine Form von psychischer Gewalt.

* Pronomen, Neopronomen

Das Deutsche bietet drei Pronomen an - er, sie und es - jedoch kein etabliertes für Menschen, die sich außerhalb der binären Geschlechter verorten. Manche Leute verwenden gerne "es" für sich, viele andere empfinden dies aber als unangenehm, weil es eher als sachlich, "ein Ding", verstanden wird, und weniger als ein menschliches Individuum.

Versuche, neue Pronomen zu etablieren, gibt es viele, allerdings konnte keiner dieser Versuche sich bis jetzt als klarer Favorit durchsetzen. Einige Beispiele wären "sier", "ersie", "er*sie", "xier" oder "dey".

Sehr viele nichtbinäre Menschen im deutschsprachigen Raum verwenden für sich gar keine Pronomen - oft wird das kombiniert mit kurzen, einsilbigen Vornamen, die sich schnell anstelle eines Pronomens einfügen lassen.

Im Englischen hat sich mittlerweile "they" als weithin gebräuchliches Pronomen für nichtbinäre Menschen durchgesetzt, es gibt aber auch andere Versuche wie z.B. "ze/hir" oder "ve/vem".

* Cisnormativität

Cisnormativität ist die (implizite) Annahme, dass Personen cisgender sind. Ein Faktor der dazu beiträgt, ist, dass medial leider oft der Eindruck vermittelt, dass es immer leicht zu erkennen wäre, dass eine Person trans ist - in der Realität sieht das anders aus. Tatsächlich wurde auch schon einigen cis Frauen Gewalt angetan, weil sie für trans gehalten wurden.

AMAB, AFAB, MtF, FtM

Die Abkürzungen stehen für "assigned male at birth" bzw. "assigned female at birth", also als Abkürzung für das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht. So praktisch diese Begriffe auch sind, um allgemein über das Thema Geschlechter und Trans-Identitäten zu reden, ist es aber problematisch, sie ständig im Umgang mit anderen Menschen zu verwenden, da dadurch erst recht wieder eine Zweiteilung der Menschen vorgenommen wird, die außerdem an der Realität der so Bezeichneten vorbeigeht.

AFAB wird oft auch benutzt, um einen Überbegriff für Menschen zu haben, die z.B. Kinder bekommen können - dies übersieht aber, dass es auch eine Menge unfruchtbarer cis Frauen gibt.

MtF steht für "male to female", umgekehrt FtM für "female to male". Diese Begriffe werden ebenfalls oft der Einfachheit halber benutzt, sind aber gegenüber AMAB/AFAB binärer und gehen außerdem von einem Geschlechtswechsel aus, was der Realität vieler trans Leute entgegensteht. Noch schlimmer ist es, von "einem FtM" zu sprechen, was eine Person dann nur noch auf den Prozess einer Transition reduziert und daher entmenschlichend wirkt. Am besten sollten auch diese Begriffe nur zur Selbstbeschreibung verwendet werden und nicht ungefragt für andere Menschen.

* transsexuell (transsexual)

Im Englischen wurde der Begriff 'transsexual' Anfang der 2010erjahre immer mehr durch den Umbrella-Begriff 'transgender' ersetzt. Eine zeitlang wurde zwischen transsexuell und transgender unterschieden, sodass erstere körperliche Veränderungen hinter sich haben, letztere aber nicht. Da dies aber relativ willkürlich ist - ob solche Veränderungen möglich oder erwünscht sind, hängt ja auch stark von äußeren Faktoren ab - ist die progressive Trans-Community weitgehend davon abgerückt.

Im Deutschen wird an "transsexuell" (ebenso wie an "intersexuell") kritisiert, dass der Begriff nahelegt, es hätte etwas mit sexuellem Verhalten zu tun, was also stark irreführend ist. Dennoch wird der Begriff immer noch von vielen Menschen als Selbstbezeichnung benutzt, und ist in etablierten Vereinen oft noch gang und gäbe.

Die starke Ablehnung dieser Begriffe durch die jüngere Generation (bzw. den Leuten, die aktuelle Diskurse verfolgen, im Aktivismus tätig sind, usw.) erzeugt zuweilen so etwas wie einen Generationenkonflikt - viele Menschen haben lange darum gekämpft, "transsexuell" sein zu können, oder sich die Bezeichnung positiv anzueignen, und sind nicht besonders begeistert, diesen Begriff wieder aufgeben zu sollen. Es ist also zu beachten, dass Menschen, die sich selbst so bezeichnen, respektiert werden - aber der Begriff sollte nicht ungefragt für andere verwendet werden.

Identifizieren als (identify as)

Diese Formulierung wird leider allzu oft missverstanden, und ist die Basis für eine ganze Schar transfeindlicher "Witze". Im Prinzip reicht es auch einfach zu sagen "Ich bin eine Frau", und "Ich identifiziere mich als Frau" ist dann eine unnötig umständliche Art, das selbe auszudrücken.

Ich sehe noch eine andere Lesart: Identifizieren ist der Akt des Erkennens oder des Benennens. Also zum Beispiel: "Ich identifiziere ein braunes Ding am Boden als ein Stück Holz." und äquivalent dazu "Ich identifiziere mich selbst als eine nichtbinäre Person." - nachdem dieses Identifizieren aber einmal abgeschlossen ist, reicht es auch zu sagen: "Da ist ein Stück Holz." und "Ich bin nichtbinär."

Viele Menschen, vor allem cis Menschen, stolpern über die Phrase "Ich identifiziere mich als ..." und meinen dann, es ginge hier um den Akt des Aussprechens. Dabei geht es eigentlich um das Herausfinden, das davor passiert ist - und es ist schlicht Fakt, dass niemand so gut über die Geschlechtsidentität eines Menschen Bescheid weiß, wie die Person selbst.

Wenn jemand sagt "Ich habe Rückenschmerzen" so werden die wenigsten Leute entgegnen "Nein hast du nicht, dein Rücken ist doch völlig gerade." Wir erkennen an, dass Schmerzen etwas sind, das normalerweise nur aus subjektiver Perspektive zugänglich ist.

Biologismus

Von Biologismus wird in diesem Kontext gesprochen, wenn eine sehr stark biologische Sicht auf menschliche Geschlechter vertreten wird; wenn also Geschlecht allein auf biologische Merkmale reduziert wird. Menschen die eine solche Sicht vertreten, beziehen sich dabei allerdings auch meist nicht auf die Expertise von Biolog*innen, sondern auf ihr eigenes Halbwissen aus dem Bereich. Biologisch gesehen gibt es eine große Zahl an Einzelfaktoren, die miteinander übereinstimmen können, aber auch nicht - nur die Chromosomen eines Menschen zu kennen, muss nicht besonders viel aussagen - außerdem kennen die wenigsten Menschen ihre eigene DNA.

* Passing, Clocking

Als "Passing" wird es bezeichnet, wenn eine trans Person in ihrem Umfeld nicht auffällt, d.h. eine trans Frau von Fremden nicht als trans erkannt wird. "Clocking" ist der Gegenbegriff, und bezeichnet, als trans Person "entlarvt" zu werden.

Beide Begriffe sind sehr umstritten und in Trans-Communities weithin unbeliebt. Viele trans Menschen wollen ihr Transsein überhaupt nicht verstecken; es verstecken zu müssen ist außerdem Ausdruck einer Gesellschaft, die Transsein nicht akzeptiert, und dann gelte es eher die Gesellschaft zu ändern.

Weiters ist "Passing" relativ - ein und die selbe Person kann unmittelbar hintereinander von verschiedenen Personen für männlich, weiblich oder ambivalent gehalten werden.

Und schließlich stellt sich die Frage, was denn eine nichtbinäre Person mit diesen Begriffen anfangen soll - schließlich haben sehr viele Menschen noch nicht einmal gehört, dass es so etwas gibt, und ordnen Menschen instinktiv in eine der beiden Kategorien männlich und weiblich ein.

* TERF, "gender critical"

Die Abkürzung steht für "Trans-Exclusive Radical Feminist" - und ist im Wesentlichen eine Bezeichnung für transphob gesinnte Menschen, die in der Existenz von trans Menschen eine Verschwörung gegen feministische Bewegungen sehen. TERFs schrecken oft nicht davor zurück, gezielt falsche Information in Umlauf zu bringen, Kampagnen gegen prominente trans Leute (oder auch nur Personen die sich positiv über trans Leute geäußert haben) zu organisieren, oder körperliche Gewalt gegen trans Menschen anzuwenden.

TERF-Ideologie besagt z.B., dass trans Frauen eigentlich Männer wären, die versuchen würden, Frauenbewegungen zu infiltrieren und von innen zu zerstören. Trans Frauen werden als perverse Männer hingestellt, deren einziges Ziel es sei, sich verkleidet zu Frauen Zutritt zu verschaffen. Als Beweismaterial werden einzelne Anekdoten von gewalttätigen Trans-Personen gebracht - dabei jedoch ignoriert, dass trans Menschen statistisch viel häufiger Opfer von Gewaltakten werden, als dass sie Täter*innen sind.

Umgekehrt sprechen TERFs meist wenig über trans Männer oder bei der Geburt weiblich zugewiesene nichtbinäre Menschen - diese werden dann eher als "Verräterinnen an der Weiblichkeit" angesehen, und oft gegen deren Willen in weibliche Räume eingeladen.

Da TERFs in den meisten feministischen Bewegungen mittlerweile nicht mehr akzeptiert werden, verbünden sich TERF-Gruppierungen zunehmend mit politisch rechtskonservativ gesinnten Menschen, zuweilen sogar mit  explizit antifeministischen. Das Ziel, trans Personen die Existenz abzusprechen scheint manchen wichtiger zu sein als sich tatsächlich für die Rechte von Frauen einzusetzen, wie sie es eigentlich vorgeben.

Um sich selbst einen neuen Anstrich zu geben, nennen sich viele TERFs mittlerweile gender-critical (gender-kritisch). Sie sprechen auch gerne von womyn-born womynbio-women, oder betonen die sprachliche Nähe zwischen woman und womb. Eine weitere Strategie ist, zu behaupten, dass "terf" ein Schimpfwort wäre, oder dass "cis" ein Schimpfwort wäre.

Obwohl TERFs in den meisten feministischen Bewegungen kaum akzeptiert werden, hält sich deren Gedankengut leider immer noch vielerorts im Hintergrund - selbst trans Personen fallen gelegentlich darauf herein.

* Truscum, trans-trender

Mit Truscum sind Menschen vor allem innerhalb von Transgender-Communities gemeint, die eine Unterscheidung treffen zwischen "richtigen" trans Menschen (d.h. etwa solche die eine volle Transition anstreben) und "falschen" Trans-Menschen, die angeblich lediglich einem Trend folgen. Als Unterscheidungskriterium wird - neben dem Wunsch, körperlich möglichst weitgreifende Änderungen durchzuführen - oft gebracht, ob eine Person Gender-Dysphorie erlebt.

Vielen Menschen, die von Truscum in die Kategorie "nicht wirklich trans" gesteckt werden, müssen sich den Vorwurf anhören, nur einem Trend zu folgen, "trans-trender" zu sein. Angesichts der enormen Hürden, Gefahren und Ablehnung die viele trans Menschen erleben müssen, ist dieser Vorwurf aber eher absurd - es ist schade, dass innerhalb von Trans-Communities wiederum Ausgrenzung von Menschen stattfindet, die einer Norm nicht genügen.

* biologisches Geschlecht

Das englische "sex" wird oft so ins Deutsche übersetzt. Der Begriff wird jedoch in Trans-Communities als fragwürdig angesehen. Die Vorstellung, welche die meisten Menschen von der menschlichen Biologie haben, ist so stark von der vorherrschenden Binarität geprägt, dass dieser Umstand oft kaum wahrgenommen, und das "biologische Geschlecht" einfach als offensichtlich, gegeben und keiner weiteren Erklärung bedürfend angenommen wird.

Eine biologische Sicht auf menschliche Geschlechter ist jedoch vielfältig - Parameter wie Chromosomen, Hormonspiegel, Genitalien, Keimdrüsen und sekundäre Geschlechtsmerkmale können allesamt getrennt betrachtet werden, und das alles kann insgesamt sehr von dem simplifizierten Bild abweichen, dass Leute haben, wenn sie "biologisches Geschlecht" hören.

* dyadisch

Ein Gegenbegriff zu inter. Dyadische Menschen sind also einfach die, die nicht intergeschlechtlich sind. Das können sowohl cis als auch trans Menschen sein.

* Sexualisierung, Transmisogynie

Eine weit verbreitete Strategie, um eine Menschengruppe in der Meinung der breiten Masse zu diskreditieren, ist Sexualisierung. Dies kann unterschiedliche Formen annehmen: beispielsweise wird einer Gruppe unterstellt, sich "tierisch" zu verhalten, "pervers" zu sein, eine Gefahr für Kinder, usw. - dies war und ist immer noch zu hören, wenn rechtsgesinnte Menschen über Homosexualität sprechen, und auch ethnische Minderheiten werden gerne in diese Schublade gesteckt, um sie zu diskreditieren.

Auch Frauen ganz allgemein werden in einer männerdominierten Gesellschaft sexualisiert, was sich beispielsweise an Werbeplakaten gut sehen lässt. Indem Männer die Beobachter sein sollen und Frauen die Beobachteten (deren Aussehen dann frei heraus kritisiert werden darf), werden Machtverhältnisse aufrechterhalten - Sexualisierung ist eine Reduktion auf nur einen Aspekt eines Menschen und wirkt damit als Abwertung.

Trans Frauen haben auch ganz speziell unter dieser Form von Misogynie zu leiden: da Frauen an sich schon gesellschaftlich sexualisiert werden, müssen - gemäß dieses häufigen transfeindlichen Argumentes - bei einer bei der Geburt männlich zugewiesenen Person, die sich "freiwillig" als Frau bezeichnet, wohl sexuelle Motive dahinterstecken. Jedes Anzeichen, dass trans Frauen irgendein Interesse an Sexualität haben - wie die meisten anderen Frauen auch - wird als Beleg dafür angesehen.

Dies ist ein Beispiel für Transmisogynie, ein Begriff, der 2007 von Julia Serano geprägt wurde, um die ganz spezifische Überschneidung von Frauenfeindlichkeit und Transfeindlichkeit zu beschreiben.

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