Freitag, 12. Februar 2021

Üpdääte -54-

 Nach dem Abschluss meines Kompositionsstudiums im Juni fiel erstmal ein Gewicht von mir ab. Ein Abschnitt meines Lebens abgeschlossen, das Komponieren "für die Uni" hat ein Ende. Das hatte es zwar vorher schon, aber dann eben offiziell.

Meine Einstellung zu Musik änderte sich den Umständen entsprechend: Seit Beginn der Pandemie bin ich fast nie alleine zuhause - stundenlang laut Musik hören, gehört der Vergangenheit an, und wenn ich doch Musik höre, dann ist es eine andere, als ich sonst hören würde.

Ich habe das Hören großteils verlegt auf die Zeit, in der ich außer Haus bin; der tägliche Spaziergang an der immergleichen Straße entlang (ausgewählt, weil sie tendentiell noch die ruhigste Strecke bietet, aber auch dort lärmt es teilweise sehr), mit Kopfhörern - den billigsten, die ich kriegen konnte, denn letzten Frühling stand ich finanziell etwas mehr unter Druck.

Soundqualität also - kann ich unter diesen Umständen vergessen. Leise Musik - funktioniert nicht. Und zuhause gibt's erstmal Computerspielmusik, oder Mozart, Schubert, ... nach einer Weile Wiener Klassik war für mich selbst Dvorak zu stressig. Das Ding ist, während einer Pandemie zusammenleben heißt für mich, meinen Gefühlshaushalt stets im Auge zu behalten. Am wichtigsten sind daher die Projekte, die viel Zeit beanspruchen, am besten Programmieren.

Seit Anfang des Jahres tu ich mir auch da schwer, denn meine Sehnenscheidenentzündung hatte sich wieder einmal verschlimmert, und ist auch jetzt noch ein Dauerfaktor. Ich habe wochenlang nicht Klavier gespielt, und konnte auch eine zeitlang nicht tippen. Nächste Woche muss ich mit meiner maroden Hand dann noch zwei schriftliche Prüfungen schreiben...

Aber der Druck, der von mir fiel, kehrt doch auch immer wieder zurück. Mein elf Jahre jüngeres Ex-Ich macht sich bemerkbar, seine großen Pläne geistern in meinem Kopf herum. Ich mache mir Vorwürfe, nicht mehr geleistet zu haben - "meine besten Kompositionen schrieb ich mit 20/21, danach kamen immer nur weitere Sackgassen, .. oder Ausreden" geht mir durch den Kopf.

Ich wurde zur Komponist*in erzogen. Ich trenne mich von dem Gedanken, dass ich eben Komponist*in bin, dieser Essentialismus gehört für mich allmählich der Vergangenheit an. Ich bin nicht, ich mache mich, es ist ein ständiger Akt. "Ich bin, was ich tue" hat leider auch seine toxischen Seiten, denn es wird selbstzerstörerisch, wenn ich aufgrund von exekutiver Disfunktion wieder einmal gar nichts fertigbringe. Als ob ich zu sein aufhören müsste.

Ich habe - eine Weile schon - das Gefühl, als Komponist*in nichts mehr zu sagen zu haben. Das Sagen ist selbst natürlich ein Konzept, das von außen kommt. Nachdem ich 2013 kompositorisch in meinem "eigentlichen" Stil nicht mehr weiterkam, habe ich mich aufs Forschen verlegt; das Einzige, was ich danach noch darin geschrieben habe, sind abstrakte Klavierstücke, mit denen ich manchmal nicht einmal selbst etwas anfangen kann. In meiner Diplomarbeit habe ich ebenfalls versucht, zu erforschen, wie geht Einvierteltakt war meine Frage, und ich glaube, darauf sogar Antworten gefunden zu haben - nur was tun mit ihnen?

Letztes Jahr hatte ich eine zeitlang mit dem Gedanken gespielt, ein zweites Streichquartett zu schreiben. Da tauchen natürlich einige Probleme auf: 1. gehe ich davon aus, dass es nicht aufgeführt werden wird. (Zumal ich auf meinen 2 Celli in der Besetzung bestehe), 2. ist die Situation zuhause einfach nicht dafür geeignet, langfristig ein "hochgeistiges" Projekt zu verfolgen. Dafür müsste ich viele Stunden experimentieren, die Zeit aus den Augen verlieren können - das ist nicht kompatibel mit einem Leben, in dem ich dafür verantwortlich bin, dass zu Mittag Essen auf dem Tisch steht, dass ich einen den Takt des gemeinsamen Lebens vorgebe (von uns beiden zuhause habe ich das funktionierende Zeitgefühl).

Aber vielleicht sind das alles Ausreden. Vielleicht ist die Wahrheit ganz banal: Die Ideen, die ich hatte, waren nicht ergiebig. Ich habe nicht die Geduld, einer Idee nachzugehen, die mich nicht packt. Und mich packt so schnell keine musikalische Idee mehr, ich hab zu viel gehört, zu viele Richtungen schon probiert. Das klingt jetzt alles sehr depressiv - natürlich spielt psychische Gesundheit auch hinein - aber letztlich ist es allem dem geschuldet, dass ich praktisch denken will. Die Bedürfnispyramide ist umgefallen, es ist jetzt eine andere Seite unten. Ich lebe nicht mehr für die Kunst, sondern maximal neben der Kunst. Das tut mir in erster Linie aber gut.

Meine Transition ist ein Weg des ständigen Mich-neu-Erfindens. Also ist es immer möglich, eine andere Richtung einzuschlagen, selbst mein(e) Name(n) steht nicht fest, auch wenn ich sie kürzlich offiziell habe eintragen lassen.

Aber jede Identität existiert nur im Gegenüber mit anderen Menschen, und es ist ein eigenartiger Fakt meines Lebens, dass ich unter meinen näheren Freund*innen praktisch keine Musiker*innen habe. Die Musik ist zwangsläufig damit etwas, das ich alleine praktiziere. Oder alleine höre, denn niemand um mich herum hört Musik in einer ähnlichen Weise wie ich.

Zu Jahreswechsel hab ich "xenharmonische" Musik entdeckt; Mikrotonalität interessiert mich schon eine geraume Weile. (Um sie hören zu lernen, habe ich mein Gehörbildungsspiel AuralQuest programmiert.) Ich vermute, dass mein einzig praktikabler Weg, damit zu experimentieren, wieder General MIDI Standard sein wird, mit einem Notenschreibprogramm, das nicht darauf ausgelegt ist. Anstrengend also. Aber ich traue mich nicht, damit anzufangen, denn ich versuche nach wie vor, meine Hände möglichst wenig zu belasten. (Reines Tippen ist einigermaßen möglich, aber mit der Maus arbeiten riskiert Schmerzen) Mein Körper schränkt mich ein...

Nun denn. Dieses Üpdäätle hat keinen sehr positiven Ton. Tatsächlich hatte ich einige dieser Gedanken während depressiver Tage. Aber mir geht es aktuell nicht schlecht. Ich glaube einfach, dass ich mich von meinen hohen Ansprüchen lösen muss, von den ganzen toxischen Gedanken über Kunst und Künstler*innen, die für ihre Kunst leiden müssen, und so weiter. Wie gesagt, ich wurde zur Komponist*in erzogen, von klein auf, seit ich mich erinnern kann. Aber ich kann auch auf all das, was ich geschrieben habe, zurückblicken und sagen: Hey, ist doch einiges. Der Anspruch, etwas Weltbewegendes zu schreiben, oder auch nur etwas, das von einer etwas größeren Zahl an Personen gerne gehört wird - das scheint mir ein schales Ziel, das nur zu Frust führt. Und davon möchte ich mich eben lösen.

Jetzt hab ich nur über Musik geschrieben, dabei hab ich doch so viele Ambitionen in anderen Feldern, die mir genauso unnötigen Druck machen. Dass ich etwas schreibe, mit dem ich selbst zufrieden bin, scheint auch nicht wirklich drin zu sein. Und Politik ... ist mir so wichtig, und gleichzeitig merke ich auch hier, dass ich nicht dafür gemacht bin. Philosophie? Pffft. Es hat mir Spaß gemacht, über Atheismus zu schreiben, aber momentan würde ich hauptsächlich über Atheisten schreiben wollen, und über das Versagen dieser Szene, eine positive Kraft in der Welt zu sein.

Ja, ein Teil von mir hungert geradezu nach Philosophie und Kunst. Aber welche? Ich weiß es nicht. Ich kann nicht mehr daran herangehen wie in meinen frühen Zwanzigern, einfach mal ein dutzend Räder neu erfinden... nicht nur weil ich älter geworden bin, sondern auch weil sich das Internet verändert hat; überall gibt es Content, so viel davon; statt selbst nachzudenken, kann ich "Mereologie" googeln und feststellen, dass ich gar keine Lust habe, mich stundenlang einzulesen in ein Gebiet, über das ich zuvor fröhlich fabuliert habe.

Meine Güte, klingt das alles jetzt nach einer Krise.^^ Dabei ist es mehr ein bestimmter Punkt einer Entwicklung, die sich schon über Jahre vollzieht, und die mich großteils zu einem besseren Menschen gemacht hat; ruhiger, und geerdeter.

Dann sollte ich positiv anmerken, dass es ein kreatives Feld gibt, in dem ich derzeit zufrieden mit mir bin, und das sind Spiele. Ich bin extrem froh darüber, dass ich AuralQuest fertiggestellt habe, noch dazu in einer recht kurzen Zeit. Ein Brettspiel habe ich über Weihnachten auch gebaut; und aktuell arbeite ich - recht unregelmäßig - an einem Echtzeitstrategiespiel. Das hakt an vielen Stellen, vielleicht wird dieses Projekt auch nichts; einerlei, ich bin glücklich, etwas schaffen zu können, das gespielt wird.

Wenn ich wieder mehr komponiere, will ich es anders angehen, als bisher. Ich kann mein frustriertes Herumsuchen gerade nicht leiden, ich will spielen!