Dienstag, 4. Juni 2019

Männlichkeit

Vor einigen Monaten hatte ich auf der Straße eine Konversation, die im Wesentlichen ungefähr so ablief:

- Hey bist du schwul?
- Ne
- Du bist schwul, gib's zu
- Nein, ich bin nicht schwul
- Schäm dich!
- Für was?
- Für deine Männlichkeit!

Es war hellichter Tag, Mittag und strahlender Sonnenschein, und an einer stärker befahrenen Straßenkreuzung. Wäre es dunkel gewesen, hätte ich mich vielleicht geduckt und wäre weitergegangen, ich weiß es nicht. Ich glaube fast, dass ich dafür im Moment noch zu stur bin. Angst hab ich eher im Nachhinein.

In feministischen Kreisen wird oft über "fragile Männlichkeit" geredet, und dieses Konzept hatte ich natürlich auch im Kopf, aber mir war bewusst, dass es nichts bringt, damit anzurücken, wenn die andere Person sowieso schon keine Ahnung hat. Ich hätte gerne gesagt, dass ich bi bin, aber - warum halt? Was geht es ihn an?

Was soll das jedenfalls sein, diese Männlichkeit? Manchmal scheint es, als wäre Männlichkeit einfach nur dadurch definiert, nicht so zu sein, wie Frauen (in einem sehr spezifischen Frauenbild) zu sein haben. Das heißt, alles was allocishetero Männer an Frauen interessiert, gilt es strikt zu vermeiden. Dazu gehört in Extremfällen auch, sich zu waschen. Ernsthaft.

Ich kann den Impuls schon verstehen, sich als Gegensatz zu etwas zu definieren. Das passiert uns allen schnell: Ich bin nicht so, also möchte ich, dass ihr auch seht, dass ich nicht so bin. Abgrenzung eben. Als transweibliche Person ist es mir unangenehm, mit Männern assoziiert zu werden.

Zur Aufrechterhaltung des Status quo "Männer sind das wichtige Geschlecht" ist es notwendig, Femininität abzuwerten. Ich glaube, dass "Feminine Männer" in dieser Hinsicht das Feindbild Nr.1 sind. Dieses drückt sich oft als Homophobie aus, natürlich (das ein Gutteil von Schwulen mit Femininität selbst nicht viel anfangen können, wird dabei vergessen), aber auch in Form von Transfeindlichkeit. Weil sehr viele Leute eben "trans Frau" = "Mann in Frauenkleidern" im Kopf haben, was kompletter Blödsinn ist, aber dadurch werden transweibliche Personen dann eben mit Schwulen assoziiert, und ein random Typ auf der Straße meint, dass ich schwul wäre, weil ich einen Rock trage.

Dass in Pride Events schwule Männer in Drag so präsent sind, macht die Sache nicht besser. Viele trans Personen haben deswegen auch schon eine starke Abneigung gegen Drag Queens allgemein entwickelt - verständlich, aber natürlich gab es historisch viel Verknüpfungspunkte, und eine strikte Trennung übersieht eben auch wieder, dass Geschlecht noch ein wenig komplexer sein kann. Außerdem gibt es auch Frauen, die sich als Drag Queen wohlfühlen, also im Sinne einer Ästhetik oder Gender Performance.

Wie dem auch sei. Ich weiß immer noch nicht so recht, was ich mit Männlichkeit anfangen soll, und warum ich für diese schämen soll. Ich begehe offenbar ein Verbrechen gegen die Männlichkeit, indem ich einen Rock trage. Aha.

Der Gedanke, eine Art Verräter*in am Geburtsgeschlecht zu sein, hat schon was, muss ich zugeben. Ich habe den Feind infiltriert, und ich weiß, wie ihr tickt, o cis Männer, habt acht! Ne - ich bin etwas albern. Meine Menschenkenntnis reicht nicht wirklich, um so eine Rolle zu erfüllen.

~

Naja, warum mache ich mir dazu derzeit wieder Gedanken? Weil ich allmählich aufgrund meines äußeren nicht mehr wirklich als straight gelesen werden kann. Und ich frage mich permanent, in welche Schublade mich die Leute packen, die mich auf der Straße mit gerunzelter Stirn einmal kurz abchecken und wieder wegsehen. Schwul? Drag Queen? Weirdo? Pervers? Trans? None of your Business?

Vermutlich machen sich Leute weniger darüber Gedanken, wer ich bin, als ich mir Gedanken mache, wie sie mich sehen könnten. Da ist ein Rest von Sozialphobie übriggeblieben: Ich kann nur sehr schwer aufhören, mir Gedanken darüber zu machen, wie andere mich sehen.

Aber mit jedem bisschen mehr, das ich von meiner zugewiesenen Rolle "Mann" abweiche, gewöhne ich mich mehr daran. Ich werde diese Gewöhnung in den nächsten Jahren auch brauchen. Die bürokratischen Hürden für eine Transition sind beachtlich, und das selbst in einem Land, in dem die Rechtslage verhältnismäßig gut ist.

Montag, 3. Juni 2019

Thoughts on Titles

I'm currently working on older piano pieces that I wrote in 2015 and ... I noticed a thing.

The concept I had back then was a series of pieces called "Hierarchies", which the individual pieces titled "The Peasant", "The Nobility", "The Preacher", "The Factory worker" and "The Asylum Seeker". At the time, I felt some kind of urgency to make my music more political, as this was the time when lots of refugees from Syria came to Europe and right-wingers used them as talking points.

Only now I do not feel comfortable any more with both the titles for these pieces and the concept behind it. "Hierarchies" was meant to point a finger towards classism, but I did not understand much about it. Why did I include a piece called "The Peasants"? Not because I saw some kind of political statement, but because I already had this peace that was basically a peasant song, and ... it sort of fit? I handwaved it in.

Calling a piece "Asylum Seeker" while doing basically nothing to make it an actual meaningful statement was also ... just a really bad idea. Even if I had found the time to actually finish the piece itself to my satisfaction.

And "The Preacher" ... well. Back then I was more involved with Atheism and I had personally met an anti-gay-preacher (for example) and listened to plenty more. But now I realize that there are just as many bigoted non-believers out there - and frankly, the number of cishet atheist men that have disappointed me is staggering, so it no longer feels right to point the finger at religious extremists. Especially since right-wingers use that rhetoric to justify their hatred of Muslims.

The world has changed since 2015. Trump happened, for example. Is still happening, and people are in the process of getting denied fundamental human rights...

"Hierarchies" was a way to just say: Hey, there are those different people and they don't have equal rights. But even that was messed up because I threw together status/class ("nobility"), action (hate-speech "preacher") and put together some half-hearted sad-music for the refugees. It feels like I instrumentalized their pain for a mediocre (ok, actually worse than that) piece of music, instead of doing the opposite, using art as a way to help a cause.

"Factory Worker" ... I'm uncomfortable with that too. I never worked in a factory, for once, and factory work is only one particular kind of shitty experience that capitalism provides (and not a particular new one). So yes, the piece absolutely works as a parody of the kind of hand movements a worker does at an assembly line, but do I really need to make a parody of that?

From the five original pieces, I'll rework two to include them in my folder for my masters degree... the Preacher will get a different name, and for the other piece I think I'll go with "'Etude" subtitled "A sado-minimalist meditation on Capitalism". I feel that this makes it clearer that I do not attempt to describe a situation that I've never experienced myself. It is merely a piece in a particular style (sado-minimalism is a term some dude invented to describe Ustvolskaya, and while I disagree with it's use for her work, it does describe my piece pretty much perfectly), a style that I relate to and I do think about Capitalism and how it relates to our lives a lot - while not having experienced its worst sides. And I probably never will, with all my privileges and such...