Die Sprachen, die wir heute sprechen, haben eine Vergangenheit, und die Gesellschaften, in denen sie gesprochen wurden, haben alle einen Abdruck hinterlassen. Sprache ist in der Regel die Sprache der Mehrheit, und deswegen kommt es oft vor, dass marginalisierte Gruppen in irgendeiner Weise auch mit einer Sprache zu ringen haben, die sie weiter an den Rand drängt. Besonders stark ist dies dort zu spüren, wo es um Geschlecht geht - zumindest die indoeuropäische Sprachfamilie neigt ganz stark dazu, entlang von Geschlecht alles in enge Kategorien zu teilen.
Wie nun aber damit umzugehen ist, die Sprache zu gestalten, sodass sie fairer gegenüber allen ist - das ist ein heikles Thema, bei dem sich selbst unter ansonsten progressiven Menschen leicht ein Streit entfachen lässt.
Zum einen gibt es gegenüber jeder Vorschrift schnell eine antiautoritäre Reaktion. Dass "die Feministinnen" die Sprache sämtlich gesetzlich mit Verboten regeln wollen, ist der Vorwurf, der vor allem von konservativer Seite (aber nicht nur von dort) immer wieder kommt. Den antiautoritären Impuls kann ich auch nachvollziehen - niemand lässt sich gerne etwas von anderen vorschreiben, gerade wenn es um etwas doch oft recht Persönliches wie Sprache geht.
Ein weiterer Faktor ist der Umstand, dass der Großteil der Diskussion zum Thema Sprache im englischsprachigen bzw. internationalen Kontext stattfindet. Viele Probleme, die gerade im Deutschen existieren, existieren im Englischen gar nicht, oder sie existieren in einer anderen Form. Von einer Sprache direkt auf die andere zu schließen führt zu Fehlern. Deswegen schreibe ich diesen Post auch nur auf deutsch.
Und schließlich gibt es keine Einigkeit darüber, was denn überhaupt der richtige Ansatz wäre, selbst unter Leuten, denen klar ist, dass sie etwas ändern wollen. Das wird sich wohl auch nicht ändern.
~ ẞ ~
Englisch hat es geschafft, eine generische Form für Berufsbezeichnungen zu haben - teacher sagt nichts über das Geschlecht der Person aus - und die wenigen Fälle, wo es doch Probleme gab, haben eine Lösung; aus layman wird halt layperson. Beneidenswert.
Im Deutschen geht es derzeit in die entgegengesetzte Richtung. Die in der Sprache versteckten Vorannahmen, die Menschen haben, wenn sie das Wort Lehrer hören - in der Regel eben z.B. keine Frau - haben zu der Bestrebung geführt, diese Vorannahmen bewusst am Wort zu kennzeichnen: Formen wie LehrerIn oder Lehrer/in. Da hier aber wiederum die nichtbinären Geschlechter unter den Tisch fallen, musste noch einmal eine andere Lösung her: Lehrer_in oder Lehrer*in.
Alle diese Lösungen haben gemeinsam, dass sie eigentlich fast nur in der schriftlichen Kommunikation funktionieren. Ja, es gibt Möglichkeiten, Lehrer*in auszusprechen, mit einem Glottalstop zwischen Lehrer und *in, zum Beispiel. Aber in der Aussprache ist das nicht zu unterscheiden von LehrerIn.
Ich weiß hier ehrlich gesagt auch nicht weiter. Ich verwende Lehrer*in als bevorzugte Form, derzeit. Die Möglichkeit zwischen verschiedenen Geschlechtern abzuwechseln, hat auch etwas für sich, funktioniert aber auch nicht überall, und wo Eindeutigkeit gefragt ist, bin ich damit nicht so glücklich - umgekehrt sehe ich es doch als zumindest einigermaßen wichtiges Nebenziel an, die Anzahl der Sternchen in einem Text eher klein zu halten. Daher schreibe ich z.B. die Lehrer*in und nicht der*die Lehrer*in, was noch inklusiver wäre.
Ich habe auch schon die Meinung gehört, dass es möglich gewesen wäre, an dem Punkt, als das Problem einer Unsichtbarmachung von nichtmännlichen Geschlechtern in der Sprache erstmals Aufmerksamkeit bekam, ein markiertes Maskulinum einzuführen:
Lehrero zum Beispiel als eine maskuline Form - dadurch würde, wenn es sich durchsetzte, Lehrer effektiv 'neutralisiert' werden. Die Lösung wäre ungeheuer elegant, aber natürlich ist es wiederum fast unmöglich, bei einer breiten Bevölkerung eine neue männliche Wortform einzuführen. Zudem: Welchen Artikel hat das unmarkierte Lehrer dann? Wenn es bei der Lehrer bleibt, wird das Projekt ja nicht wirklich so erfolgreich sein...
Der andere Ansatz wiederum löst das Problem nicht, dass Lehrerin gegenüber Lehrer eine markierte Form darstellt. Mit Markierung ist gemeint, dass die Endung -in als Zusatz zum unmarkierten Wortstamm im Prinzip eine Abweichung von der Norm ausdrückt - und die Norm wird somit als männlich festgesetzt.
Und ein generisches Femininum? In der Theorie auch eine mögliche Lösung - und darum, dass es cis Männer nervt, mache ich mir relativ wenig Sorgen (die hatten ja schon mehrere Jahrhunderte für sich), aber gegenüber trans Männern scheint es mir eine unglückliche Lösung zu sein, quasi Misgendern ihnen gegenüber in die Sprache einzuführen...
Das alles war aber nur mal, um zu zeigen, wie so ein typisches Sprachproblem aussieht, und wie wir uns daran den Kopf zerbrechen können. Meine momentanen Gedanken zu dem Thema gehen mittlerweile in eine etwas andere Richtung.
~ ẞ ~
Plädoyer für eine unsaubere Sprache
~ ẞ ~
Wie könnte das aussehen? Ich bringe dazu ein Beispiel:
man
Das Wort wird von Feminist*innen kritisiert, weil es - wieder einmal - Männer als default nimmt. Meist wird die Grenze recht früh gezogen, wenn es um ähnliche Wörter geht: jemand, Mensch, ...
(Anmerkung: Die Etymologie von Wörtern muss gar nicht unbedingt korrekt sein, damit ein Wort zu einem Problem wird - es reicht auch schon, wenn die meisten Leute glauben, dass ein Wort nach etwas klingt.)
1.) Passiv
- Das macht man in der Regel so. -> Das wird in der Regel so gemacht.
- Das könnte man so bezeichnen. -> Das könnte so bezeichnet werden.
- In diesem Gebirge findet man besonders viele Erze. -> In diesem Gebirge können besonders viele Erze gefunden werden.
- Am Ende gibt man noch Salz hinzu. -> Am Ende wird noch Salz hinzugefügt.
- Man sagt, dass man in jeder schwierigen Situation etwas lernen kann. -> Es wird gesagt, dass in jeder schwierigen Situation etwas gelernt werden kann.
- Das sagt man nicht! -> Sowas wird nicht gesagt!
- Wenn man mit Toten sprechen könnte, würde man vieles anders sehen. -> Wenn mit Toten gesprochen werden könnte, würden viele andere Sichtweisen eröffnet werden.
- Das ist mehr, als man erwarten würde. -> Das ist mehr, als zu erwarten war.
- Wie spricht man das aus? -> Wie wird das ausgesprochen?
2.) du / wir
- Das macht man in der Regel so. -> Das machen wir in der Regel so.
- Das könnte man so bezeichnen. -> Das könnten wir so bezeichnen.
- In diesem Gebirge findet man besonders viele Erze. -> In diesem Gebirge findest du besonders viele Erze.
- Am Ende gibt man noch Salz hinzu. -> Am Ende gibst du noch Salz hinzu.
- Man sagt, dass man in jeder schwierigen Situation etwas lernen kann. -> ?!
- Das sagt man nicht! -> Wir sagen sowas nicht!
- Wenn man mit Toten sprechen könnte, würde man vieles anders sehen. -> Wenn wir mit Toten sprechen könnten, würden wir vieles anders sehen.
- Das ist mehr, als man erwarten würde. -> Das ist mehr, als wir erwarten würden. (stark kontextabhängig)
- Wie spricht man das aus? -> Wie sprechen wir das aus?
- Das könnte man so bezeichnen. -> Das könnte man*frau so bezeichnen.
- Man sagt, dass man in jeder schwierigen Situation etwas lernen kann. -> Man*frau sagt, dass man*frau ... ?!?!
- Das sagt man nicht! -> Das sagt man*frau nicht!
- Wenn man*frau mit Toten sprechen könnte, würde man*frau vieles anders sehen. (?)
- Das ist mehr, als man erwarten würde. -> Das ist mehr, als man*frau erwarten würde.
- Wie spricht man das aus? -> Wie spricht man*frau das aus?
4.) eins / eines
- Das könnte man so bezeichnen. -> Das könnte eins so bezeichnen.
- In diesem Gebirge findet man besonders viele Erze. -> In diesem Gebirge findet eins besonders viele Erze.
- Am Ende gibt man noch Salz hinzu. -> Am Ende gibt eines noch Salz hinzu.
- Man sagt, dass... -> Eines sagt... ?!?!
- Das sagt man nicht! -> Das sagt eins nicht! (?)
- Wenn eines mit Toten sprechen könnte, würde eins vieles anders sehen.
- Das ist mehr, als eins erwarten würde.
- Wie spricht eins das aus?
5.) man (hin und wieder, oder Mischformen)
- Man sagt, dass eins in jeder schwierigen Situation etwas lernen kann.
- Wenn man mit Toten sprechen könnte, würden wir vieles anders sehen.
- Das macht man in der Regel so. -> Die meisten Leute machen das so.
- Das könnte man so bezeichnen. -> Die Bezeichnung ist dafür vielleicht ganz gut geeignet. (?)
- In diesem Gebirge findet man besonders viele Erze. -> Dieses Gebirge ist reich an Erzen.
- Am Ende gibt man noch Salz hinzu. -> Die letzte Zutat ist etwas Salz.
- Man sagt, dass man in jeder schwierigen Situation etwas lernen kann. -> Es geht die Rede, dass es in jeder schwierigen Situtation etwas zu lernen gibt.
- Das sagt man nicht! -> Sag so etwas nicht! (Bitte.^^)
- Wenn man mit Toten sprechen könnte, würde man vieles anders sehen. -> Wäre es möglich, mit Toten zu sprechen, welche neuen Sichtweisen uns das wohl eröffnen würde!
- Das ist mehr, als man erwarten würde. -> Das ist mehr, als erwartet.
- Wie spricht man das aus? -> Kannst du mir sagen, wie die Aussprache von dem ist? (?)
~ ẞ ~
Welche Variante die beste ist, hängt nicht nur von der Satzkonstruktion ab, sondern auch von den Dialekten, Soziolekten oder Varietäten, in denen gesprochen wird, sowie vom Kontext, von der Textart, von persönlichen Stilfragen, und so weiter. Selbst österreichisches und bundesdeutsches Hochdeutsch unterscheiden sich schon deutlich darin, wie Sätze formuliert werden, und auch in Jugendslangs, Internetslangs oder Denglisch gelten oft nochmal komplett andere Regeln.
Aus meiner Sicht ist es sinnlos, in einer lebendigen Sprache nach einer allgemeingültigen Formel zu suchen. Genauso führt es - und hier ist meine Meinung wohl etwas kontroversieller - eher zu Problemen, wenn versucht wird, bestimmte Formen als Standard zu etablieren, und begonnen wird, von anderen zu verlangen, sich nach diesem zu richten. Das schadet oft auch genau den Leuten, wegen denen überhaupt nach einer Veränderung der Sprache gesucht wurde.
Ich wünsche mir eine Kultur, in der versucht wird, Menschen zu einem kritischen Umgang mit ihrer Sprache zu ermuntern. Aber keine, in der jede Formulierung ein potentieller Streit wird. Da ist es mir sogar lieber, wenn Leute einfach man schreiben - wenn sie ansonsten bemüht sind, dazuzulernen und niemanden unnötig zu verletzen.
Ich habe in den letzten Monaten festgestellt, das es ganz gut funktioniert, als erstes die Passivform auszuprobieren - und das lässt sich auch schnell angewöhnen - und wenn das nicht funktioniert, zu einer der anderen Optionen zu greifen. Und hin und wieder auch bewusst mal ein man einstreuen, wenn es einfach dort gut klingt. Manchmal klingt eins gut, manchmal eben nicht - hängt vom Satz ab.
Und schließlich bevorzuge ich ganz stark Lösungen, die auch in gesprochener Sprache funktionieren. Das ist dann oft ein generisches Femininum (mit den angesprochenen Problemen), aber es wachsen vereinzelt schon Alternativen - zum Beispiel Lehrperson, Lehrpersonen. ;-)
~ ẞ ~
Wenn ich die ganze Zeit davon schreibe, Vielfalt zuzulassen, heißt das natürlich nicht, dass es keine Formulierungen gibt, die einfach wirklich übel sind. Oder natürlich so etwas wie Schimpfwörter, die sich auf Geschlecht, Rasse, Herkunft, sexuelle Orientierung, usw. beziehen. Diese können wir aber auch aussortieren, ohne dass wir die Sprache an anderer Stelle einschränken.
Fazit:
Eine heterogene, unsaubere Sprache bietet den Platz, verschiedene Varianten auszuprobieren. Neue Formulierungen können sich überhaupt nur durchsetzen, wenn das pedantische Beharren auf einer Norm - egal ob einer alten oder neuen - ausgesetzt wird. Das kriegen wir hoffentlich hin. :-)
Jundurg Delphimė
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen