Donnerstag, 10. Mai 2018

Komponieren als Arbeit an den Emotionen

In den letzten Jahren bin ich immer weiter davon abgerückt, das Komponieren als eine Tätigkeit aufzufassen, die auf ein bestimmtes Endprodukt (oder Werk) abzielt. Ich gebe zu, dass das teilweise auch mit Faktoren zu tun hat, die nichts mit irgendwelchen Überzeugungen zu tun haben - ich bin z.B. schlicht frustriert darüber, dass ich keine Stücke für die speziell von mir gewählten Besetzungen schreiben kann, so dass diese auch aufgeführt würden. Ensembles von Neuer Musik neigen zu bestimmten Instrumentenkombinationen, und meist zu einem komplett heterogenen Klang ("von jedem Instrument eines"), das meinen Idealen, zumindest für eine bestimmte Art von Musik, diametral entgegengesetzt ist.

Es war für mich sehr lohnend, ein Sextett für 2 Oboen, 2 Tuben, Horn und Fagott zu schreiben - aber da solche Kombinationen kaum je erwünscht oder verfügbar sind (zumindest nicht für no-name Komponist*innen) werde ich es fortan bleibenlassen, und tendentiell wohl überhaupt kaum mehr Instrumentalmusik schreiben.

Abgesehen von diesen pragmatischen Überlegungen gibt es jedoch auch den Aspekt, dass ich mittlerweile der Ansicht bin, dass Instrumentale Musik prinzipiell mehr sein muss als nur der Versuch, einen bestimmten Klang zu erreichen. Das kann ein Computer auch, oder wird es bald können. Es muss etwas mit den Spieler*innen selbst zu tun haben, als Menschen. Jetzt bin ich nicht besonders sozial und gerade zu Musiker*innen finde ich fast nie wirklich einen Draht, deswegen sage ich mir, dass das nicht wirklich ein Gebiet ist, auf das ich mich spezialisieren möchte. Zumal mein Bedürfnis nach homogenen Klangfarben vermutlich auch am Computer leichter zu erreichen ist.

~ ẞ ~

Das alles aber nur als Vorbemerkung - eigentlich wollte ich den Ansatz beschreiben, der mir momentan öfter durch den Kopf geht: Komponieren als Flicken von psychologischen Wunden oder Aufarbeiten von verdrängten Emotionen.

Nun denken vielleicht einige gleich an Sprüche wie "Musik ist die Sprache der Gefühle!" oder ähnlichen Bullshit. Dieser Meinung war ich - zumindest seit ich darüber nachzudenken imstande bin - nie. Eine Übersetzung von Musik in bestimmte damit zu vermittelnde Emotionen funktioniert nur in einem engen kulturellen Rahmen, bei der alle Beteiligten eine ähnliche musikalische Erziehung genossen haben. Wenn das gegeben ist, kann es im Endeffekt ja auch sehr cool sein. Aber darum geht es mir nicht.

Vielmehr denke ich subjektbezogen: Ich frage mich, warum ein bestimmtes Werk bei mir bestimmte Emotionen auslöst, und ich frage mich, ob ich die Art und Weise, wie das passiert, verändern kann.

Ich habe öfter Probleme damit, dass mir eine Welle an alten Emotionen entgegenschwappt, der ich dann für kurze Zeit machtlos ausgeliefert bin. Sehr häufig tritt das mit Musik auf, die ich früher gehört habe (wobei mir auch mal ein bestimmtes lange nicht gehörtes Musikstück einfach so einfallen kann, ich es dann höre, und dann mit Emotionen überfallen werde.)

Ich habe ein Bedürfnis danach, gewisse sozusagen lose Enden musikalisch zu binden. Mir ist aufgefallen, dass es oft auch wirklich musikalisch offene Probleme gibt, die mit ungelösten emotionalen Problemen zusammenhängen. Es scheint mir eine kathartische Wirkung zu haben, solche alten Bruchstücke in einem neuen Stück zu binden. Essentiell dafür ist, dass es auch wirklich ein neues Stück ist - eine bloße Wiederholung des Alten erreicht genau das Gegenteil, nämlich noch mehr und verstärkte emotionale Instabilität. Es muss in einen neuen Kontext eingefügt werden, wo es seinen eigenen Platz haben kann.

Das funktioniert auch mit literarischem Schreiben - aber dazu kann ich mich nicht so oft aufraffen, außerdem bin ich bei weitem nicht so geübt darin, es richtig zu machen, d.h. nicht in die Falle zu tappen, das Alte bloß aufzuwärmen. Als "ausgebildete" Komponist*in gelingt mir das schon öfter. Musik, die ich auch selbst spiele, hat außerdem den Vorteil, dass ich ein Stück immer wieder neu interpretieren kann, d.h. an die aktuelle Gefühlslage anpassen. Dadurch werden auch die darin mehr oder weniger tief verborgenen alten Anteile dann immer wieder neu an die Gegenwart verankert.

Ist das noch Kunst? Mir egal. :-D
Für diese spezifische Arbeit ist es noch nicht einmal notwendig, dass das Endprodukt anderen gefällt (obwohl ich zumindest eine gewisse Korrelation bemerke, dass Werke, in denen mir das oben Beschriebene gelingt, oft auch gut ankommen.) Tendentiell funktioniert die Methode aber gerade bei romantischen/impressionistischen Stilen recht gut - vorausgesetzt, ich bringe die alten Motive in eine Struktur, die sie trägt. Prinzipiell sind aber alle Stile möglich - die Auswahl hängt stärker daran, um welche spezifische Emotion es geht, die transformiert in den Kontext der Gegenwart gesetzt werden soll.

~

Jundurg Delphimė, Mai 2018

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen