Mittwoch, 27. Februar 2019

Üpdäätle -47-

Der Februar ist jedes Jahr viel zu schnell um, was nicht daran liegen kann, dass er ein paar Tage weniger hat, immerhin wirkt er eher halb so lang wie der Januar. Ich vermute, dass die da oben irgendwie schummeln mit der Zeitvergabe.^^

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Ich habe das Jahr 2019 mit recht viel Neuer Musik begonnen, und das setzt sich auch noch ein weiteres Monat fort. Für den Februar hatte ich allerdings ein etwas anderes Konzept.

Meine Erfahrung im Januar war ja, dass ausgerechnet das Stück, das mir beim ersten Mal hören am schrecklichsten erschien, sich am Ende zu einem Favoriten entwickelte. Also habe ich weitergedacht - dann kann ich diese instinktive Ablehnungsreaktion ja zum Ausgangspunkt nehmen, ein Feld in Angriff zu nehmen, das ich mein ganzes Leben so weit wie möglich vermieden habe: Die Barockmusik.

Über meine tiefsitzende Abneigung gegenüber Barockmusik habe ich schon öfter mal geredet - meine neueste Hypothese dazu basiert auf dem Tetris-Effekt:
Wie heftig dieser sein kann, habe ich erst vor wenigen Wochen wieder mal deutlich erlebt, und zwar sogar mit dem namensgebenden Tetris selbst, der König*in der Computerspiele... aufgrund eines Internetausfalls hatte ich für einige Tage ein Loch, und dieses wurde dann mit einer Tetris-Sucht gefüllt; das hatte ich nämlich zufällig direkt vor dem Ausfall heruntergeladen. Die Folgen waren erschreckend: Selbst während dem Lesen eines durchaus spannenden Buches war ein Teil von mir im Hinterkopf ständig beschäftigt, Teile zu drehen, in Löcher zu fügen und sogar ein vages Modell eines ganzen Spielfeldes aufrechtzuerhalten. Ich mag Tetris, aber den Effekt, den es auf meine arme Psyche hat, mag ich dezidiert nicht. Schweren Herzens also wieder deinstalliert...

Naja, jedenfalls gibt es bei Barockmusik einen ähnlichen Effekt: Die vorhersagbaren, immergleichen Harmonien laufen nach dem Ende eines Stückes in meinem Kopf weiter und verbrauchen permanent Energie (weil es natürlich nicht nur bei den Harmonien bleibt, sondern auch automatisch melodische Phrasen generiert werden - und hin und wieder verhakt sich etwas, und meine bewusste Aufmerksamkeit wird für einen Moment benötigt, um die Sache zu reparieren). Im Wesentlichen ist es ein musikalischer Tetris-Effekt. Aber während Tetris es an sich hat, geradezu unendlich variable Spielsituationen zu schaffen, ist ein einzelnes Stück Barockmusik fixiert und nach einer Weile korrekt auswendig gelernt.

Meine Februar-Hörliste besteht großteils aus Neuer Musik, aber ich habe ein Werk von Rameau und eines von Lully dazugemischt - und ein Beethoven-Streichquartett, denn auch das ist eine musikalische Gegend, die ich kaum kenne. Die Mischung ist fragwürdig, gerade auch weil ich bei der Auswahl der anderen Stücke nicht so geschickt war - scheint mir - aber der stetige zufällige Wechsel zwischen Alter und Neuer Musik erzeugt zuweilen interessante Effekte.

Aber spezifisch die Barockmusik: am Anfang war es die Hölle.^^ Ein 25-Minuten-Block Lully war mir schlicht zu viel, daher habe ich es auf kleinere Brocken zerschnitten. In den ersten Tagen hatte ich den klassischen Barock-Tetris-Effekt auf meine Psyche, der es schlicht anstrengend machte, mich damit zu beschäftigen. Dann jedoch kam ich an den Punkt, an dem die Stücke individuell wiedererkennbar wurden, und das änderte alles: Anstatt dass eine allgemeine, variable Barocktextur sich in meinem Kopf festsetzte, waren es einfach individuelle Stücke, abgegrenzt und mit einem viel geringeren Energieaufwand - da sie ja auswendig gelernt waren. Et voilà: Ein paar der Stücke mag ich jetzt sogar. Das ist immer noch ein wenig beängstigend, wenn ich ehrlich bin. Barockmusik zu hassen ist zu einem Teil meiner Identität als Musikerin geworden, die ich somit aufgeben muss. Naja, okay, ich werde sie weiterhin meiden, eben wegen dem Tetris-Effekt. Aber der erste Schritt einer Versöhnung wurde gemacht.

Komponist*innen in meiner Februarliste:

Armands Aleksandravičus, Mohammadreza Azin, Malin Bång, Ludwig van Beethoven, Luciano Berio, David Cope, Keith Fitch, Toshio Hosokawa, Joan La Barbara, Geon Yong Lee, Jean-Baptiste Lully, Panayiotis Kokoras, Bruno Maderna, Andrew May, Thomas Meadowcroft, Jan Wilhelm Morthenson, Jerica Oblak, Jean-Philippe Rameau, Evija Skuķe, Chiyoko Szlavnics, Julia Wolfe.

Wie auch letztes Mal habe ich nicht davor zurückgescheut, Leute dazuzunehmen, die ich persönlich kenne oder kannte. Das fühlt sich seltsam an, aber irgendwie mag ich mich diesbezüglich überwinden... und es einfach so machen. Ob ich wieder ausführlich über alle Stücke schreibe, weiß ich noch nicht. Mal sehen.

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In meinem Vorstellungspost hier im Blog schrieb ich noch, dass ich er- und sie-Pronomen wechselweise benutze, das hat sich mittlerweile geändert. Zwar pendle ich ein wenig hin und her, aber die meiste Zeit bin ich mit "sie" ganz komfortabel, und habe es somit zum Standard festgelegt.

(Viele trans Personen hassen den Begriff "preferred pronouns", da es sich bei ihnen um keine Präferenz, sondern eine Notwendigkeit handelt. Aber ich bin eben genderfluid und daher ist eine 100%ge Festlegung nicht so wirklich absehbar. Es fällt mir allerdings leichter, mich als "Komponistin" zu bezeichnen, als noch vor einem halben Jahr.)

~ Jundurg Delphime

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