Samstag, 9. Februar 2019

Neue Musik im Jänner - Resümee


Moin!

Meine Jänner-Playlist - ich wollte das neue Jahr mit Neuer Musik beginnen. Das Ergebnis meines Durchhörens ist wie folgt - die Reihenfolge ist zufällig, wie sie auch beim Abspielen stets zufällig war.

~ ẞ ~

Luigi Nono : Prometheus Suite

Langsame Einzeltöne, die in den Raum gesungen werden... Mit Nono hab ich mich auch, als ich ihm im Studium einmal kurz begegnet bin, recht schwer getan. Wie ein Stück wirkt, hängt jedoch stark vom Kontext ab – und in dieser Liste gibt es viele hektische, prägnante Sachen, dadurch freue ich mich im Grunde, wenn etwas ruhiges auftaucht. Dabei ist das Nono-Stück allerdings von einer inneren Spannung erfüllt, somit ist diese Beschreibung etwas zu kurz gegriffen. Durch das Tempo ist es möglich, den Harmonien im Detail zu folgen – dementsprechend würde es auffallen, wenn es hier eine Schwäche gäbe. Das spricht für Nono.
Hin und wieder knarzt etwas dazwischen – Bassklarinette? Bin mir nicht sicher – das sorgt vermutlich für manche Hörer*innen für eine Auflockerung des gleichmäßigen Voranschreitens – ich empfinde das in den ruhigen Abschnitten eher als störend, das Stück könnte auch konsequent ohne schnarrende Klangfarben auskommen, bzw. diese nur zum Abschluss einer Phrase (was auch passiert). Es gibt natürlich noch größere Bogen. Form ist für mich selten ein Kriterium, ich höre ein Stück oft und es hinterlässt dann einen Eindruck, der ohne ausgeprägte Zeitdimension auskommt.

Nam Hoon Kim : Le temps retrouvé

Ein Bläserquintett. Das Stück ist einfacher gebaut, bedient sich einerseits harmonischen Feldern, in denen ich verschiedene Skalen höre; mal angedeutet, mal konkreter und grundtönig zentriert. Auch der Rhythmus wirkt eher scherzhaft auf mich. Irgendwie schade? Die Instrumente Oboe und Fagott, die sind ja bereits scherzhaft, einfach durch ihren Klang, da braucht es nicht mehr viel. Freitonale Klänge, die im Kontext der anderen Stücke irgendwie altmodisch wirken – in der Umgebung ist das eben auch schwer, und die Besetzung macht es auch extra schwierig.

(Ich hab einige Zeit mit Nam Hoon studiert, bis er irgendwann nach Boston verschwunden ist. Einige seiner Stücke während unserer gemeinsamen Studienzeit fand ich genial, insbesondere aus den ersten Jahren, da war viel Konzeptuelles auch dabei; inzwischen hat er sich meinem Eindruck nach ein bisschen zu sehr zähmen lassen von den Unis...)

Isabel Mundry : Sandschleifen

Auch hier gibt es Zentraltöne, und die meiste Zeit meinem Eindruck nach eine recht statische Harmonik – es moduliert aber sozusagen auch, aber wenn ich „moduliert“ schreibe, dann deshalb, weil es eben das Gefühl gibt, von etwas Statischen wegzugehen, und auch ein Gefühl, später wieder dahin zurückzukommen. Das passiert gleich zu Beginn auch einmal: Dieser ist gleich sehr energiegeladen; zum Anfangsakkord wird nach etwa dreißig Sekunden wieder zurückgekehrt und dieser dadurch als Anker markiert.
Der Rhythmus erinnert mich an Boulez; immer wieder Flächen, und schnelle Bewegungen von einer Fläche zur nächsten. Das allerdings ist nur ein grobes Gerüst, es passiert viel mehr und ist auch sehr abwechslungsreich. Aber eben in einer von vielen anderen Werken vertrauten Weise...

Luciano Berio : Glosse

Ich hab mich immer gleich kurz gefreut, wenn die Pizzicatoklänge dieses Stück ankündigten. Es ist ein Streichquartett, das zwar harmonisch nicht überrascht, aber mit einem gewissen Nachdruck kommt, Aggressivität, wie sie Streichinstrumente manchmal in sich haben, und die genügt, um auch mich nebenbei Hörende aufhorchen zu lassen.

Wolfgang Mitterer : Little Smile

Mitterers Stücke höre ich immer wieder gerne, sie sind ein summendes, flirrendes, schillerndes Chaos. Ich gebe aber auch zu, dass ich mehr als eines oder zwei solcher Stücke hintereinander meist nicht hören kann; in einer über acht Stunden langen Playlist ein so ein Stück zu haben, ist aber wunderbar. Immer wieder tun sich kleine Fenster auf in andere harmonische Welten, bleiben für zehn Sekunden offen, und gehen wieder zu. Diese Fenster machen für mich den Reiz des Stückes aus, sie sind der Grund, warum es trotz des irgendwie „gleichförmigen“ Chaos nicht langweilig wird.

Isabel Mundry : Mouhanad

Das Stück hat in der Liste eine schwierige Position: Es hat klar verständlichen deutschen Text, was heißt, dass ich es oft übersprungen habe, wenn ich gerade etwas lesen wollte.

Einerseits finde ich es gut, dass sich eine Komponistin der Flüchtlingskrise als Thema annimmt, andererseits überzeugt mich das Ergebnis doch nicht so ganz.

Der Text für sich funktioniert wunderbar, insofern als dass es möglich ist, ihn zu verstehen – was bei Vokalwerken zu selten der Fall ist – und auch die Musik funktioniert, ich habe mir anfangs sogar einmal gedacht „So muss für Chor geschrieben werden!“, und bei Vokalmusik bin ich notorisch überheikel. Aber die Verbindung zwischen beiden? Für die Chormusik ist der Text nicht notwendig, daher könnte ich das Stück auch ohne Text hören, und würde es vielleicht so mögen. Der Text wiederum könnte auch einfach gelesen werden, glaube ich. (Aber ich gebe zu, dass ich ihn wohl nicht lesen würde, und daher erst in Form dieses Stückes wirklich bewusst höre. Ein Punkt für Mundry, I guess.)

Thomas Meadowcraft : Cradles

Ein Stück mit zwei Ebenen: Da sind die langsamen, gezupften Klänge, die wirklich sanft in den Schlaf wiegen könnten. Darüber aber liegt ein zuweilen plätscherndes, zuweilen aber auch aggressives, Mobile aus Sounds. (Auch ein Mobile hängt über einer Wiege.) Während dem Hören wechsle ich dazwischen, einmal lasse ich mich einlullen, dann werde ich wieder von wildem Geblubber oder Schellenklimpern aus dem Schlaf gerissen. Ich weiß nicht, was die Intention dieses Stücks ist, aber es gefällt mir irgendwie. Ob es mich beruhigt, hängt von der Tageszeit ab, was ich davor gehört habe, ob ich bequem liege, ob ich müde bin... meist beruhigt es mich nicht. Der starke Kontrast zwischen den beiden Ebenen bewirkt, dass ich in mir ein Bedürfnis spüre, auch mal nur das Ruhige für sich zu hören. (Aber natürlich wäre das auch recht langweilig, so allein.) Die Harmonien sind minimalistisch, immer leicht veränderte Variationen von Akkorden, die aus progressiver Popularmusik oder Jazz entsprungen sind.
Es ist definitiv ein Stück, das mir in Erinnerung bleibt, weil es aus der Masse heraussticht, es ist etwas komplett anderes als der Rest der Liste.

Isabel Soveral : Keep Invention in a Noted Weed

Live gespielte Musik und Elektroakust, so ineinander verzahnt, dass ich nicht immer sagen kann, was ich gerade höre. Klavier, Violine, Marimba. Hin und wieder drängt sich ein elektronischer Klang aber ganz in den Vordergrund. Soveral hat einige ziemlich unangenehme scharfe Dauertöne gewählt, im Vergleich dazu wirken Klavier und Geige sanft, auch wenn sie durchwegs düster und scharf dissonant gesetzt sind. Marimba hat eine gewisse Lockerheit natürlich an sich, das gleicht aus. Ich würde sagen, kompositorisch ist es klar eines der stärkeren Stücke in der Liste.

Jan W. Morthenson : Coloratura III

Ein recht kurzes Stück, das mir beim Durchhören nie wirklich bewusst in Erinnerung geblieben ist, weil es recht anonyme Klänge sind... aber jetzt, wo ich darauf achte, ist es eine sehr angenehme Hörerfahrung. Ich habe mich sogar dabei ertappt, dazu einen Ton zu summen. Die statische aber sich stetig wandelnde Wolke erinnert mich auch unmittelbar an Avet Terterians Symphonien – und von denen halte ich viel!

Hans Zender : Canto II

Die Musiksprache ist meinem Gefühl nach nah an einigen Henze-Werken, (den mittleren, experimentelleren, den Opern auch?). Sehr expressive Chorklänge, die mich aber irgendwie wenig bewegen, und deren Expressivität somit mich sogar stört, weil ich nicht das Gefühl habe, dass viel dahinter steckt, bzw. dass sie eher ein Nachhall der Zweiten Wiener Schule sind, als etwas für sich neues. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich so viel Henze gehört habe, dass ich einem ähnlichen Stil ein bisschen überdrüssig bin. Im Umfeld dieser Playlist kann es also nicht so wirklich punkten, obwohl es eigentlich viel zu bieten hätte, es ist definitiv abwechslungsreich und spannend – vielleicht sogar zu sehr. Wahrscheinlich es ein Ausschnitt etwas größeren, dessen Kontext hier dann fehlt.

Errollyn Wallen : Triple Concerto

Der größte Fremdkörper in dieser Liste. Kompositionstechnisch ist dazu nicht viel zu sagen, es ist natürlich etwas völlig anderes – harmonisch sehr einfach. Meine persönliche Abneigung gegenüber Violinen lässt mich meinen, dass das Konzert ohne ein Violinsolo ausgekommen wäre.
Nach einem kurzen expressiven Start beginnt es schnell jazzig zu werden. Der zweite Satz begibt sich dann in eine andere Region, für mich assoziiert mit dem Nahen Osten. Viele unisono vorgetragene Linien über einem statischen Orgelpunkt. Im dritten Satz wird es noch einmal jazzig wie im ersten, allerdings harmonisch sogar noch einfacher, hier sind wir dann wirklich in der Popularmusik angekommen, aber immerhin mit Schwung.

Es ist für die Planung einer solchen Liste günstig, wenn es ein paar stilistische Fremdkörper gibt; weniger zur Auflockerung, sondern dazu, die anderen Stücke immer mal wieder in einem anderen Kontext zu hören – wenn sie unmittelbar auf dieses folgen, ist das einfach eine andere Hörerfahrung als sonst. Errollyn Wallen war bereits Teil meines ersten solchen Listenhörprojekts vor zwei Jahren, deswegen habe ich mich an den Namen erinnert, und sie wieder eingebaut. Einige ihrer Stücke finde ich auch richtig gut, etwa Dervish oder Peace on Earth – das Triple Concerto? Not so much. Aber eben gut als Fremdkörper.

Georges Aperghis : Quatre Pièces Fébriles [...]

Klavier und Marimba, definitiv eine gute Kombination; das erste Stück besonders eingängig durch eine Phrase, die sehr oft wiederholt wird. In einem der weiteren Sätze fiel mir eine Stelle auf, an der sehr plakativ eine chromatische Tonleiter durchexerziert wird. Das kann richtig cool funktionieren, wenn es noch sehr sehr sehr viel extremer gemacht wird, hier wirkt es eher ... einfallslos, an dieser Stelle. Das sind die Stücke aber sicher nicht. Ich mag vor allem die kleinen Blöcke von Repetitionen, die mich sehr an etwas erinnern, was ein Algorithmus ausgespuckt haben mag, ein Festhängen an wenigen Tönen, aber mit viel rhythmischer Energie, die sich einfach mal entladen muss.

Georg Friedrich Haas : Release

Dieses Stück ist zu lang, um „spannend“ zu sein, aber gerade lang genug, um den Ohren etwas bieten zu können; ich höre es gerne. Harfentöne zu mikrotonal ausgefeilten Durklangflächen? Diese Art Musik hätte mich früher sehr frustriert – und würde es vielleicht immer noch, wenn ich sie im Zuge eines Seminars auf der Uni hören müsste; dafür passiert zu wenig. Aber für meine Präferenz des Eher-im-Hintergrund-Hörens passt es naturgemäß gut.
Es gibt eine seltsame Coda, in der noch einmal viel glissandiert wird – da hab ich beim Hören öfter mal nachsehen müssen, ob das noch zu Haas gehört oder ein anderes Stück ist.

Der klare Bezug des Titels auf Sexualität (es wurde nach seinem Coming-Out als Teil der BDSM-Community geschrieben) führt nicht zu etwas, das ich hören könnte. Aber vermutlich war es für Haas eine interessante Erfahrung, es mit diesem Konzept im Kopf zu schreiben. Ich begrüße das – zu sagen, die Musikszene wäre prüde, wäre aber übertrieben, immerhin kenne ich auch kaum Stücke, die andere Grunderfahrungen wie Hunger, Durst oder Lachen in die Musik tragen wollen. Jedenfalls als Grunderfahrungen. Wobei die eben Genannten natürlich noch deutlich grundlegender sind, als Sexualität. Und Stücke über Einsamkeit – davon gibt's eher schon zu viele, oder?

Chaya Czernowin : FardanceCLOSE

Das kürzeste Stück in der Liste. Erst in den höchsten Registern, dann in der Tiefe grollend, das Klavier, das dann unerwartet in eine neoromantische Tonfolge bricht – und dort dann stehenbleibt, in einer sehr sehr langen Coda, in welcher der selbe Akkord (mit Vorschlag) in immer größeren Abständen angeschlagen wird, bis zum Schluss etwa zwanzig Mal. Dieses Stehenbleiben auf einem Akkord macht beinahe die Hälfte der Stückdauer aus. Ein sehr eigenartiger Effekt also. Es hinterlässt ein mulmiges Gefühl.

Malin Bång : ripost

In den ersten Tagen des Hörens habe ich öfter mal nachgesehen, was ich denn gerade höre:
„Das klingt gut, was ist es? Malin Bång.“
„Das klingt gut, was ist es? Malin Bång. Schon wieder?“
„Das klingt gut, was ist es? Malin Bång. Ach ja.“
Anfangs war dieses Stück somit ein klarer Favorit. Diesen Platz hat es dann allerdings abgeben müssen. Die Klänge sind abgefahren, das zeichnet dieses Stück aus. Geräuschhaft wie Lachenmann, aber aggressiver. Da wird mit Eifer geschrubbt und gekratzt, und irgendetwas jammert im Hintergrund. Glocken schlagen.
Wie gut dieses Stück funktioniert, hängt stark von der Lautstärke ab, mit der ich es höre. Es braucht ein gewisses Volumen, damit das Kratzen nicht einfach nur ein Hintergrundgeräusch ist, das ausgeblendet wird.

Øyvind Torvund : Neon Forest Space

Dieses Stück hat wohl den einprägsamsten Anfang. Sehr energiegeladen – im akustischen Sinne, also viel Geräusch – aber es lässt dann sehr schnell nach, wie der Wald im Titel suggeriert, Vogelgesänge, irgendwie auch in Dur. Irgendwelche Waldtiere machen Geräusche, aber auf der harmonischen Ebene passiert nichts. Ich mochte dieses Stück am Anfang sehr, weil es wirklich drollig ist. Mit der Zeit hat es aber seinen Reiz verloren – ich habe es einige Mal übersprungen, gerade weil die „alpinen“ Harmonien mir irgendwann auf die Nerven gegangen sind. Fürs Oft-Hören also irgendwie nicht das Wahre, aber wer ein Stück nur einmal hören will, der würde ich es sogar empfehlen. Es ist ja drollig...

Evija Skuķe : Garām

Ein reines Schlagzeugstück. Für einige Abschnitte habe ich das Gefühl, da würde bloß der Klang der Instrumente ausprobiert, alles einmal angeschlagen; hin und wieder klingt es dann aber so, als ob im Hintergrund eine urtümliche Horde vorbeizieht, eine Weile näherkommt, dann sich wieder entfernt. Steinzeit? Ich habe am Anfang wenig mit dem Stück anfangen können, aber jetzt gerade mag ich es gerne. Das wilde Finale funktioniert aus meiner Sicht nicht ganz so gut, wie der Teil davor.

Laut Google heißt "garām" soviel wie "past", also vergangen? Könnte mit meiner Steinzeit-Assoziation ja passen.

Chiyoko Szlavnics : (a)long lines

Beim ersten Mal Hören habe ich dieses Stück sofort gehasst.

Und wie es bei mir häufiger vorkommt, hat sich dieses Hassen mit der Zeit in eine tiefe Faszination umgewandelt. Sehr sehr langsame Töne, viele Glissandi, schneidend teilweise, manchmal aber auch wie Sirenen; dazwischen immer wieder der Schlag einer tiefen Trommel, der dem Ganzen den Eindruck eines Rituals verleiht. Alles geschieht langsam, auch das düstere Vibrieren eines sehr tiefen Tones, von Trommeln oder von Schwebetönen, rollt langsam heran, wie eine Naturmacht. Von allen Stücken hat dieses aus meiner Sicht den „außereuropäischsten“ Charakter, was vor allem an den Trommelschlägen liegt, welche die in Zeitlupe betrachteten Entwicklungen immer wieder abrupt unterbrechen.

Ich will auf jeden Fall noch mehr von Szlavnics hören, ich bin schon gespannt.

Philip Cashian : Chamber Concerto

Enorm effektvolles Stück. Meine Meinung darüber hat sich mehrfach geändert – anfangs fand ich es eines der stärksten Stücke, dann mit der Zeit ist meine Meinung viel negativer geworden; es scheint mir nämlich so, dass es harmonisch in gewissem Sinne zu perfekt balanciert ist, es ist auf eine jazzige Art und Weise atonal, das haben irgendwie mehrere britische Komponist*innen gemeinsam. Es scheint mir also in der Hinsicht weniger spannend, auf einer Meta-Ebene – verglichen mit anderen Werken dieser Liste. Aber für sich betrachtet ist es ein sehr abwechslungsreiches, interessantes Stück, das ordentlich fetzt.

Salvatore Sciarrino : Introduzione All´Oscuro

Die Sorte von Stück, mit der ich mir schwer tu. Lange Zeit passiert fast gar nichts, es gibt einzelne vorbeifliegende Streichernachtfalter, aber das war's auch schon. Nacht halt. Gegen Ende habe ich das Gefühl, dass noch ein wenig etwas beginnt, anzuheben, ein Herzschlag? Ein seltsamer Nachhall einer romantischen Hausmusik, in Dur?
Pötisch beschreiben lässt es sich offensichtlich, aber mögen tu ich es deswegen nicht.

Luigi Nono : ... sofferte onde serene ...

Ein Klavierstück, das kompositorisch gut ist, aber mir nicht spezifisch in Erinnerung geblieben. Mein Eindruck davon wurde von diversen anderen Stücken in der Liste überschrieben, bzw. hat sich damit vermischt. Wenn ich bewusst darauf achte, stelle ich fest, dass ich die Cluster in hohen und tiefen Lagen recht mag – was mir an dem Stück vielleicht fehlt, ist eine Art übergeordnete Idee, damit meine ich kein Konzept, auch nicht unbedingt eine Form, sondern eher so eine Art Signal an mich als Hörerin, das mir sagt, worum es geht. Ohne dieses ist es einfach eine sehr gute Komposition, die ein angenehm düsteres Intermezzo zwischen den anderen Werken bietet.

Luciano Berio : Epiphanie

Das könnte – wenn ich so über die Liste sehe – das älteste Stück hier sein. 1961, wie es scheint. Es klingt für mich auch ganz spezifisch nach dieser Zeit, wie ein Stück Radio, ein Kommentar über das Abklingen des Serialismus der Fünfziger. Harmonisch definitiv auf einer anderen Liga als viele Stücke in der Liste, durchwegs fein balancierte Atonalität; es ist zu hören, dass sie durch die Ära geprägt wurde. Wie aus dem Radio klingt auch die Stimme, die erzählt, singt, aber auch hin und wieder jauchzt und kichert.
So richtig in Erinnerung geblieben ist mir dieses Stück aber nicht. Fast jedesmal dachte ich mir „naja, ich müsste es halt noch öfter hören.“ Aber wie oft? Es gefällt mir ja, aber es gefällt mir als guter Repräsentant dieses Stiles, nicht als individuelles Stück. Daran ändert auch die Stimme nichts, vermutlich, weil ich deren Sprache nicht verstehe. Der Stil ist – das sollte ich vielleicht noch dazusagen – kein Serialismus, sondern eine recht verspielte Atonalität... kann ich es besser beschreiben? Eben überhaupt nicht punktuell, sondern voller kleiner Motive, rhythmischer Ballungen, opernhaftes Drama. Insofern klingt da vieles drin mit. Ein wenig ist es mir dann doch zu gehetzt, als dass ich es noch viel öfter hören wollen würde.

Michael Obst : Fresko

Das Tonmaterial entfaltet sich zu Beginn langsam, systematisch; normalerweise mag ich so etwas eher nicht, hier funktioniert es aber, weil der Fokus auf einen Klang bleibt, der als ganzes zentral wirkt. Girlanden nehmen im Stück allmählich eine größerwerdende Bedeutung ein; das Klavier und die Harfe haben ihre jeweils eigenen Abschnitte, in denen sie im Vordergrund stehen, die sich in der Farbe so sehr vom Anfang unterscheiden, dass ich sie beim Hören als einem anderen Stück zugehörig empfunden habe.
Dass mich jedes Obststück immer irgendwie auch an Stockhausen denken lässt, liegt vermutlich daran, dass es Professor Obst war, der mir Stockhausen überhaupt erst nahegebracht hat. Aber ich denke, es gibt eine musikalische Verwandtschaft; die Harmonik ist auf eine sinnliche Art und Weise statisch, darin haben die Töne aber genügend Freiraum, um nicht zu ersticken. Überrascht mich nicht besonders, dass ein Obst-Stück in dieser Liste auch wieder zu meinen Favoriten gehört.

Isabel Soveral : Quadramorphosis

Schlagzeug und Elektronik – da ist natürlich ein riesiges Arsenal an Klängen verfügbar. Kurze Schnipsel erinnern mich (positiv) an die Anfänge der elektroakustischen Musik; das Schlagwerk für sich genommen hat aber irgendwie wenig zu sagen. Hängengeblieben sind bei mir nur die Stellen mit den etwas simpleren (d.h. auch klobigeren oder brutaleren) elektronischen Klängen.

Malin Bång : splinters of ebullient rebellion

Viel Geräusch, wie in einer Fabrikshalle. Düstere Klänge, wie ein Choral, der auf Stahltüren gespielt wird. Tippen. So viele Effekte, und jedem Effekt wird – das ist die große Stärke dieser Musik – viel Platz gegeben, sich zu entfalten.
Nicht besonders gut finde ich hingegen, wenn statt den Geräuschen plötzlich sanfte Töne klingen – denn die verwendete Harmonik ist ziemlich schwach; weiße Tasten, Pentatonik, so etwas. Klar funktioniert das als Kontrast zur Düsterkeit davor, allerdings wäre das bestimmt auch anders gegangen, milde Klänge herzustellen – die Harmonik empfinde ich hier einfach billig und langweilig, was enorm schade ist, da der Teil davor so stark war. Auch der Chor kann das nicht wirklich retten.
Wenn ich auf den Titel des Stückes gucke, vermute ich mal, dass hier eine Art Unterdrücker-Unterdrückte-Gegensatz hergestellt wird. In dem Fall haben die Unterdrücker dann aber die bessere Musik... die maschinellen Klänge können sich gegen die simple Weißetastenharmonik allerdings kaum zur Wehr setzen, die klingt selbst dann im Kopf weiter, wenn die Maschinen wieder auffahren. Also irgendwie bleibe ich unzufrieden zurück. Das hätte viel besser sein können. Ich könnte sogar so dreist sein, mir nur den maschinellen Anfang herauszuschneiden und separat zu hören.

João Pedro Oliveira : In Tempore

Wieder tritt Klavier gegen Elektroakustik an. Harmonisch ist es recht solide, statische Klangfelder werden immer wieder kurz erreicht und wieder verlassen. Die elektronischen Klänge fügen sich einerseits gut in das Ganze ein, sind aber oft genug auch eigenständig: Kompositorisch kann ich nichts daran aussetzen, es ist gute Musik. Die vielen Repititionstöne irritieren mich ein wenig; sie verstärken die Assoziation mit Boulez, die sich mir ohnehin schnell aufdrängt bei dieser Besetzung und dem Klangstil. Es ist also einer der Stücke, die so gut gearbeitet sind, dass sie in der Menge untergehen, weil es ihnen an eigenständigen Fehlern mangelt. Irgendwie schade. Gegen Ende verstärken sich Reminiszenzen und Klangfelder werden tendentiell länger gehalten, das funktioniert gut und erzeugt einen absteigenden Spannungsbogen.

Bruno Maderna : Giardino Religioso

Maderna ist einer der Komponisten, die irgendwie an mir vorbeigegangen sind, und bei denen dieser Umstand bedauerlich ist. Auf der Uni kann ich mich auch nicht erinnern, dass er mir je untergekommen wäre. Die Musik ist auf der harmonischen Seite qualitativ hochwertig.

Soviel Energie ist da!
Ich kann nicht sagen, warum während einem viele Minuten langen Abschnitt mir ständig das Es als Grundton im Kopf herumgeistert, das mag eine reine Einbildung sein, dass mein Mind beschließt, in atonaler Musik einfach mal einen Ton festzulegen und dann sich nicht mehr davon abbringen zu lassen. Ich höre dann jeden Ton, jeden Klang, in Relation zu diesem Es. Vielleicht steckt es wirklich irgendwo drin, aber das nachzuweisen...

Gegen Ende wird es wieder ruhiger, und ich genieße den Kontrast. Mittlerweile bin ich vom Es aufs D heruntergestiegen in meinem Höreindruck. Woher das kommt, würde mich echt interessieren. Naja, auch atonale Musik ist immer nur bis zu einem gewissen Grade atonal, es wird sich sozusagen asymptotisch angenähert, mit unterschiedlich viel Nachdruck, und unterschiedlich viel Erfolg. Und selten ist es überhaupt das Ziel, meist eher ein Mittel, um zu einer Harmonik zu finden, in der es eine Balance gibt zwischen dominierendem Klang und Rest, zwischen Statik und Dynamik...

Chaya Czernowin : Sahaf

Am Beginn des Stückes bin ich öfter mal erschrocken. Es ist ein recht aufdringlicher Klang. E-Gitarre und Spaltklänge in Holzblasinstrumenten... eine Ratsche knistert? Die Cluster sind rau, wirken unbehauen. Das Stück hat stellenweise irgendwie das Flair einer Bande Jugendlicher, die in einen Proberaum eingebrochen sind, um möglichst viel Lärm zu machen – jedenfalls weckt die E-Gitarre diese Assoziation. So recht schlau werde ich aus dem Stück nicht. Ich höre es einfach nicht gerne, aber ich kann nicht wirklich sagen, warum. Es besteht aus lauter interessanten Einzelelementen, aber die Verbindung gelingt (mir) nicht, sie folgen aufeinander, wechseln sich ab, und gehen mir teilweise klanglich eher auf die Nerven. (Special Effects von Blasinstrumenten mag ich persönlich nicht.)

Salvatore Sciarrino : Piano Sonata No. 2

Sehr hohe und sehr tiefe Töne kombiniert, das mag ich an sich recht gerne. Lange unregelmäßige Pausen, um den Nachhall auszukosten, eher weniger. Die Girlanden, die darauf folgen, sind ... irgendwie hübsch, haben einen impressionistischen Charme. Ich höre nach einer Weile die Regelmäßigkeit der Skalen dahinter und es verliert dann für mich seinen Reiz. Musikalisch ist diese Sonate nicht weit von der Klaviermusik eines Henri Dutilleux entfernt, dessen Spätwerk ich aber eben wegen der notorischen Vorhersehbarkeit, die sich aus den Skalen ergibt, nicht besonders mag – es hat einen gewissen Zauber, der aber eher einlullt als aufmerksam und neugierig macht.

Bruno Maderna : Quadrivium

Das zweite Maderna-Stück in dieser Liste beginnt erst einmal mit purem Schlagzeug – dadurch habe ich es manchmal mit Garām verwechselt – der Rest des Orchesters setzt dann allmählich ein, immer wieder ein Tröpfeln – in diesem Abschnitt dominiert mir das Schlagzeug dann noch lange zu sehr. Erst gegen Ende hat sich die Struktur gewandelt zu einem volleren Klang. Im Gegensatz zum anderen Stück – Giardino Religioso – finde ich, dass es diesem Stück ein bisschen an rauer Energie fehlt. Plätschern, Tröpfeln, das sind alles Beschreibungen, die ein wenig absurd anmuten, wenn sie sich auf Blechbläser beziehen.
Wieder höre ich über lange Strecken einen Grundton, eine zeitlang ein Es, dann aber ein Des. Dieses scheint mir keine Einbildung zu sein. Insgesamt ist mir das Stück ein wenig zu lange, vermutlich weil das viele Schlagzeug die Ohren ermüdet, sodass der Rest nicht mehr so gut aufgenommen werden kann.

~ ẞ ~

Das war's. Da ich momentan einen Internetausfall habe, werde ich das jetzt erst einmal posten, und später vielleicht noch meine Favoriten herauspicken. In der Zwischenzeit überlege ich mir meinen Plan für das nächste Hörmonat - das wohl irgendwie zwischen Februar und März angesiedelt sein wird.

~ Jundurg Delphimė

1 Kommentar:

  1. @JD: Vielen Dank für diese kommentierte Playlist. Bin grade am selektiven Nachhören. Weiter so :-) Grüße!

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