Montag, 22. Juli 2019

... mal eben eine Komposition erwürfeln.

Ich hab gerade Lust, die Kunst des Würfelplottens mal auf Musik anzuwenden. Irgendwann habe ich das glaub ich auch schon mal gemacht, aber da war ich noch nicht so geübt darin.

(
Würfelplotten: Es werden Fragen an einen 20seitigen Würfel (W20) gestellt. Zumeist sind das Ja-Nein-Fragen, und der Würfel beantwortet sie: 20 ist ein "ja, absolut, aber sowas von!" und 1 ein "auf keinen fall!!". Dazwischen liegen alle anderen Schattierungen, schließlich bei 10 ein das gefürchtete "Jein. Es ist kompliziert.", das die Kreativität der Würfelnden herausfordert.
)

Ich hole mir schnell einen W20 und los geht's.


Komposition Nummer Eins

- ist dies ein Stück für ein kleines Ensemble? - Es ist kompliziert.
- ist die Besetzung variabel? - ja, definitiv.
- kann es von einer einzelnen Person aufgeführt werden? - ja, definitiv.
- ist es für bestimmte Instrumente geschrieben? - ja, eher schon.
- kann es mit nur einem Klavier aufgeführt werden? - nein, gar nicht.
- kann Klavier verwendet werden? - nein.
- kann Gesang verwendet werden? - nein, gar nicht.
- ist es primär für einzelne Orchesterinstrumente? - nein, aber sowas von gar nicht!
- kann es von mehr als einer Person aufgeführt werden? - ja
- gibt es ein oberes Limit? - eher nicht
- wird ein Computer benötigt? - nein
- kann ein Computer verwendet werden? - ja, aber sowas von! klar doch!
- kann Sprache verwendet werden? - ja, definitiv
- ist Sprache auf jeden Fall Teil des Stücks? - ja
- besteht eine Performance darin, einen Text vorzulesen? - ja, genau das ist es!
- ist es ein gereimter Text? - nein, aber sowas von gar nicht!
(also bewusst nicht gereimt.)
- wenn es von mehreren Personen aufgeführt wird, sprechen diese gleichzeitig? - eher nicht
(okay, also kann mal gleichzeitig sein, muss aber nicht.)
- ist es ein deutscher Text? - ja
- ist es ein grammatikalisch weitgehend korrekter Text? - ja, ganz korrekt.
- ist es ein erzählender Text? - ja, aber sowas von!
- dauert das Stück länger als 5 Minuten? - eher nicht
(okay, also kann auch bisschen länger dauern, aber normalerweise nicht)
- Handelt es sich bei der Erzählung um eine tragische Geschichte? - ja
- ist es eine reale Begebenheit? - ja
- ist es etwas, das in den letzten Jahren passiert ist? - nein
- ist es etwas, das im 20 Jhdt passiert ist? - ja
- während einem Weltkrieg? - es ist kompliziert.
???!?
...
...
- während Weltkriege(n), aber auch davor/danach? - nein
- am Beginn oder Ende eines Krieges? - nein
- Knapp davor/danach? - ja
- Knapp vor dem ersten Weltkrieg? - ja

- gibt es irgendwo fixierte Tonhöhen oder Register? - eher nicht
- gibt es fixierte Rhythmen? - ja
- orientiert sich der notierte Rhythmus am Sprachrhythmus? - ja
- ist es vorgesehen, dass Aufführende in bestimmten Abständen zueinander einsetzen mit ihrem Vortrag? - eher ja
- ist der Text sehr schnell gesprochen? - nein
- sehr langsam? - aber sowas von gar nicht!

- Wenn es von einer Person aufgeführt wird, werden dann weitere Stimmen durch Computer ersetzt? - nein
- Ist der Rhythmus sehr fein quantisiert? - ja
- Mit genauen Tempoangaben? - nein
- Mit genauen Proportionen? - ja
- Sind längere Pausen vorgesehen? - nein
- Werden n-tolen verwendet? - nein
- ist die kleinste Einheit kleiner als Sechzehntel? - ja, definitiv
- kleiner als Vierundsechzigstel? - nein
- Vierundsechzigstel? - ja genau.
- gibt es viele Noten, die bis auf diese Ebene herab notiert werden? - nein
- Mehr als 5? - ja, definitiv.
- Gibt es viele Notenwerte, die keine besonders kleinteiligen Anteile haben? - ja, aber sowas von!
- sind die häufigsten Notenwerte Viertel oder Achtel? - ja
- Viertel? - nein.
- sind die Vierundsechzigstel-Teile eher Pausen? - eher nicht.
- gibt es kleinteilige Pausen? - ja

- wenn ein Computer eingesetzt wird, manipuliert dieser die gesprochenen Worte? - jein, eher ja
- kommen vom Computer Geräusche? - eher nein
- gibt der Computer den Rhythmus vor? - nein
- hat der Computer ein rhythmisches Element? - nein
- kommt vom Computer überhaupt Ton? - eher nein
(ich interpretiere das jetzt so, dass der Computer halt hörbar ist, weil er halt ne Maschine ist, die ein Geräusch macht, wenn sie eingeschaltet ist...)
- macht der Computer irgendetwas für einen anderen Sinn? - ja, definitiv.
- ein Video? - eher nein
- Den Text zum Mitlesen? - nein
- einen anderen Text? - eher nein
- Bilder? - es ist kompliziert.
- Farben? - nein, definitiv nicht.
- Schwarzweiß-Gestalten? - nein
- verändert sich etwas dabei im Ablauf? - nein
- macht der Computer hauptsächlich etwas für einen anderen Sinn als Gehör und Gesicht? - ja, definitiv!
- Taktil? - nein
- Gleichgewichtssinn betreffend? - nein
- Geschmackssinn? - nein
- Geruch? - nein
- Temperatursinn? - aber sowas von gar nicht!
- Körperempfindung? - ja
- wird das Publikum direkt an den Nerven stimuliert? - es ist kompliziert.
?!!?!!?@%§%"!
- ist die verwendete Technologie gefährlich? - nein
- wird der Computer am Publikum verwendet? - nein, definitiv nicht.
- werden Vortragende stimuliert? - nein
- werden sie dazu aufgefordert, ihre Körperposition zu verändern? - ja, genau!
- müssen sie sich demnach verrenken? - ja, genau!
- stehen in einer nichtcomputerisierten Aufführung Verrenkungsanweisungen in den Noten? - jein, eher ja. (okay, also nur ganz wenig)

Also, Zusammenfassung:

Komposition Nr. 1 ist ein Stück für eine beliebige Anzahl von Sprecher*innen, die einen Text vorlesen, der eine tragische Begebenheit nacherzählt, die knapp vor dem ersten Weltkrieg geschehen ist. Die Sprache folgt dem natürlichen Sprachrhythmus eines deutschen Textes, ist aber teilweise absurd genau notiert (bis hin zu Vierundsechzigsteln) großteils aber nicht. In den Noten finden sich vereinzelt Anweisungen, wie die Körperhaltung der Sprecher*innen sein soll.

Wenn es von mehreren Personen aufgeführt wird, kann der Text auch asynchron ablaufen (zumeist), muss aber nicht unbedingt.

Eine Aufführungsvariante beinhaltet einen Computer, der den Sprecher*innen zusätzlich live Anweisungen gibt, wie sie ihre Körperhaltung zu verändern haben, d.h. sie müssen sich während dem Sprechen auf verschiedene Weisen verrenken. Das Publikum fühlt diese Verrenkungen durch Zuschauen auf gewisse Weise mit.


Große Kunst, von Weltrang, oder? :D

... aber das war gar so wenig musiklastig, ich mache noch eines.


Komposition Nummer Zwei

- ist dieses Stück für ein kleines Ensemble? - eher ja
- für ca. 2-3 Instrumente? - eher ja
- ist die Anzahl festgelegt? - nein
(och nicht schon wieder...)
- sind die Instrumente festgelegt? - es ist kompliziert.
- ist vorgegeben, dass sich die Instrumente auf bestimmte Weise zueinander verhalten müssen? - es ist kompliziert.
- ist eines der Instrumente festgelegt, aber andere offen? - nein
- sind es immer verschiedene Instrumente? - nein, aber sowas von gar nicht!
- sind es immer gleiche Instrumente? - ja
(kleiner Widerspruch zu vorher, aber gilt jetzt so.)
- Ist die Minimalanzahl der Instrumente 2? - ja
- maximal 3? - nein
- mehr als 4? - nein.
Okay, also 2-4 gleiche Instrumente.

- sind es Instrumente aus dem klassischen Orchester? - aber sowas von gar nicht!
- ist die Art der Instrumente ungefähr vorgegeben? - nein
- gibt es eine bestimmte Bedingung, die diese Instrumente erfüllen müssen? - eher nicht
(naja, sie erfüllen halt die Bedingung, dass Leute sie für dieses Stück verwenden wollen.)
- darf Stimme verwendet werden? - ja
- muss Stimme verwendet werden? - ja, definitiv!
(ich sage aber, dass es sich dabei nicht um die bestimmten Instrumente handelt)
- hat das Stück einen Text? - ja
- ist es ein gereimter Text? - nein
- ist es ein erzählender Text? - nein
- wird dieser vorgetragen? - nein
(Na schön! Wir wiederholen nicht zweimal die selbe Idee...)
- ist das Stück rund um den Text aufgebaut? - ja
- erklingt der Text? - jein, eher ja
- erklingen nur einzelne Teile davon? - eher ja
- beinhaltet der Text Spielanweisungen? - eher nein
- ist es ein deutscher Text? - ja
- ist es ein wissenschaftlicher Text? - es ist kompliziert
??
- ist es ein analytischer Text? - eher ja
- ist es eine Analyse dieses Stückes? - es ist kompliziert
- ist es ein Metakommentar über Stücke dieser Art? - nein, definitiv nicht.
- ist es eine Beschreibung der Abläufe in diesem Stück? - aber sowas von gar nicht!
- ist es eine Analyse eines anderen Stückes? - aber sowas von gar nicht!
- ist es eine Musikanalyse? - eher ja
- ist es ein Essay über Kunst? - aber sowas von gar nicht!
- ist es eine Diskussion? - nein
- ist es eine Aufzählung? - ja, genau!
- eine Aufzählung von analytischen Sätzen? - nein
- eine Aufzählung von Fakten? - ja
- eine Aufzählung von Fakten über die Aufführungssituation? - nein
- eine Aufzählung von Fakten über Person(en) ? - nein
- eine Aufzählung von naturwissenschaftlichen Fakten? - nein
- von musikhistorischen Fakten? - eher nein
- von musiktheoretischen Fakten? - ja, ganz genau!
(WTF. Was ist überhaupt ein musiktheoretischer Fakt? Eher eine Aussage darüber, dass in der Musiktheorie etwas gesagt wird, als was gesagt wird.)

- wird der Text vorgespielt? - nein
- wird der Text gesungen? - ja
- sind die verwendeten Instrumente etwas, das Gesang modifiziert? - aber sowas von gar nicht!
- ist der Part der Instrumente ausnotiert? - ja
- mit fixen Tonhöhen? - nein
- mit relativen Tonhöhen? - ja, definitiv!
- mit fixen Rhythmen? - nein
- mit Tempoangaben? - ja
- sind Zusammenklänge fixiert? - ja
- sind also Klänge vorgegeben? - ja, genau!
- sind es immer gleichstimmige Klänge? - ja, definitiv!
- zweistimmig? - nein
- dreistimmig? - nein
- vierstimmig? - nein
- deutlich mehr? - ja, definitiv!
- mehr als 20? - ja, definitiv!
- mehr als 25? - ja
- mehr als 30? - ja, aber sowas von!
- mehr als 40? - ja
- mehr als 45? - nein.
[ 41, 42, 43, 44, 45 ] ? - 43.
Sind es mikrotonale Schichtungen? - ja
- sind Cluster dabei? - nein
- gibt es Abstände kleiner als Halbtöne? - nein

- spielen die Instrumente von einem Akkord mehrere Töne hintereinander? - ja
- werden von einem Akkord fast alle oder alle Töne gespielt? - ja, definitiv!
(okay, also alle 43.)
- sind es am ehesten elektronische Instrumente? - ja
- dauert ein solcher Akkord länger als ein paar Sekunden? - ja
- länger als 15 sek? - nein
- ca. 10 sek? - eher nein
- ca. 12 sek? - ja.
- gibt es viele Akkorde? - nein, ganz wenige!
- nur einen? - nein
- wird zwischen wenigen gewechselt? - nein
- sind es weniger als 10? - nein
- weniger als 13? - nein
- weniger als 16? - ja.
[13, 14, 15] ? - 13.
Daraus ergibt sich mehr oder weniger eine Stücklänge von ca. 13 x 12 Sekunden. Also knapp 3 Minuten...

Zusammenfassung:

Komposition Nr. 2 ist für 2-4 Personen. Es werden 2-4 gleichartige elektronische Instrumente verwendet (es ist aber nicht genau vorgegeben, was für welche), außerdem müssen die Aufführenden singen.

Der Instrumentalpart besteht aus 13 Klängen mit je 43 Tönen, eine mikrotonale Struktur, bei der allerdings keine 2 Töne näher als halbtönig aneinander liegen. Die Tonhöhe ist nicht absolut angegeben, sondern nur relativ. Jeder Klang dauert etwa 12 Sekunden, innerhalb dessen sind Parts der Instrumente ausnotiert, allerdings ohne Rhythmen, lediglich mit einer Angabe einer Geschwindigkeit.

Der Gesangspart besteht aus Fakten über oder aus der Musiktheorie, die in einer Aufzählung vorgesungen werden. Um diesen Text herum ist das Stück strukturiert.


Beobachtung:
Wenn ich vom Allgemeinen hin zum Konkreten frage, gerate ich sehr leicht in einen unkonventionellen Bereich; wie im ersten Beispiel zu sehen verlasse ich beinahe das Genre Musik. Eine Frage wie "werden Orchesterinstrumente verwendet?" eröffnet einen Möglichkeitsraum, der zu 50% aus Stücken besteht, in denen keine solche verwendet werden. Eine direkte Frage nach Text bedeutet auch, dass in diesem aufgespannten Raum 50% der Werke Text beinhalten.

Es ist einer der Reize des Würfelplottens, dass durch die Art der Fragen viel vorgegeben wird - gerade darin liegt ja auch die Kunst; es ist viel weniger dem Zufall überlassen, als es den Anschein hat. Wenn ich noch mehr Versuche mache, würde ich allerdings gerne etwas haben, das ich tatsächlich auch komponieren könnte. Also viel klassischer. Ich würde dann also für mich typische Parameter festsetzen, wie z.B. Abwesenheit von Sprache, Verwendung von Instrumenten, usw. Hier aber ... hoffe ich, dass es Spaß gemacht hat, diesen Prozess mitzuverfolgen. :)

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